Very British Der blonde Junge Johnson zeigt Zähne

Vom Komiker-Ringkampf zur ernsthaften politischen Debatte: Bei der Wahl von Londons neuem Bürgermeister wird es zunehmend eng für den Amtsinhaber Ken Livingstone. Denn Herausforderer Boris Johnson fährt plötzlich härtere Geschütze auf als nur seinen Blonder-Junge-Charme.

Am 1. Mai ist Wahltag in London. Und wer die britischen Zeitungen gelesen hat in den vergangenen Wochen, der könnte meinen, es ginge hier um mehr als die Wahl des Bürgermeisters und des Stadtrates der Hauptstadt. Seit Wochen stehen Schlagzeilen über Ken und Boris auf den Titelseiten, fast so, als kämpften diese beiden Männer nicht um ein Amt mit eingeschränkten Befugnissen. Sondern um das Wohl des ganzen Landes.

Ken Livingstone und Boris Johnson, die beiden aussichtsreichsten Kandidaten für das Londoner Bürgermeister-Amt, kämpfen seit Wochen eine Art Schatten-Boxkampf für die große, nationale Politik. Der blonde Johnson mit dem unbändigen Haarschopf ist dabei der Herausforderer aus den Reihen der Konservativen, der Neuling, der bisher als gewitzter Talkshow-Gastgeber und Zeitungskolumnist bekannt war, und weniger für seine Fähigkeit, eine Verwaltung zu leiten oder konkrete Politikziele zu formulieren.

Cornelia Fuchs

London ist der Nabel der Welt und Europa immer noch "der Kontinent". stern-Korrespondentin Cornelia Fuchs beschreibt in ihrer wöchentlichen stern.de-Kolumne das Leben zwischen Canary Wharf und Buckingham Palace, zwischen Downing Street und Notting Hill.

Ken Livingstone ist dagegen der alte Haudegen der Londoner Politik. Seit acht Jahren lenkt er London, und das in vielen Bereichen sehr erfolgreich. Er hat eine Innenstadtmaut dazu verwendet, das Busnetzwerk auszubauen und so die stets verstopften Straßen um 70.000 Autos entlastet; er hat die Regierung dazu gebracht, vier Milliarden Pfund für neue Wohnungen herauszurücken, die sich auch Geringverdiener in London leisten können; er hat die olympischen Spiele 2012 nach London gebracht und nach den U-Bahn-Anschlägen am 7. Juli 2005 mit wohl überlegten Reden den kulturell so unterschiedlichen Londonern aus dem Herzen gesprochen.

Livingstone ist stolz auf seine Leistungen, und plötzlich ist dies auch seine Partei. Das ist ein sehr deutlicher Umschwung, denn bei seiner ersten Wahl vor acht Jahren lag er mit den Labour-Leuten unter Tony Blair so über Kreuz, dass er als Unabhängiger in den Wahlkampf ging. Und gewann. Jetzt weiß er Blair und dessen politische Weggefährten an seiner Seite.

Livingston wirkte so, als würde ihn der Kampf nicht mehr interessieren

Und doch wirkte Livingstone seltsam müde in den vergangenen Wochen. Londoner sahen ihn mit einem kleinen Rucksack auf dem Rücken in der U-Bahn fahren, oft ohne eine Phalanx von Sicherheitsleuten, die ansonsten bekannten Politikern stets auf dem Fuß folgt.

Livingstone bewegte sich in seiner Stadt fast wie ein normaler Passant, und wie viele Londoner plagte auch ihn eine hartnäckige Frühjahrs-Bronchitis. Livingstone wirkte angegriffen, ausgezehrt, und ein bisschen so, als ob ihn der Kampf an sich gar nicht mehr so wirklich interessieren würde.

Das könnte Livingstones großes Problem werden. Denn anders als zum Anfang des Londoner Wahlkampfes gedacht, hat Boris Johnson in den vergangenen Wochen nicht auf seinen Blonder-Junge-Charme gesetzt. Er hat versucht, sein Image zu verändern zu dem eines modernen, aber ernsthaften Politikers. Sein Haar wirkte zwar nicht gekämmt, aber doch gebändigt. Interviews gab er nicht aus dem Stehgreif, sondern nur sehr ausgewählten Journalisten und dann mit großer Vorbereitung.

Seine Berater schienen mit aller Macht einen der alten Sprüche des Alexander Boris von Pfeffel Johnson vermeiden zu wollen, für die dieser berüchtigt ist - und oft gerügt wurde. Johnson hat beispielsweise Portsmouth beleidigt als Hafen-Stadt mit "zu vielen Fettsüchtigen und Labour-Abgeordneten", Menschen mit schwarzer Hautfarbe bezeichnete er als "melonengrinsend", und über sich selber sagte er, es sei wahrscheinlicher, "ich werde als Olive wiedergeboren als Premierminister zu werden".

Durchgekaute Politik-Ziele anstelle von Oxford-Rethorik

Anstatt Johnsons geschliffener Oxford-Rhetorik bekamen die Wähler im Wahlkampf seine von Beratern durchgekauten Politik-Ziele zu hören. Immer wieder wiederholte Boris, dass er die über-langen Busse abschaffen wolle, die Livingstone in den vergangenen Jahren eingeführt hat. Zur Unterstreichung fuhr Boris in einem alten Routemaster-Bus quer durch London, von dessen hinterer Plattform er freudig in die Kameras lächelte.

Er erschien sichtlich bemüht, das Beste aus sich zu machen, die Wahl ernst zu nehmen, Erfahrung zu zeigen. Und plötzlich wurde aus dem als Komiker-Ringkampf ausgemachten Wahlkampf eine ernsthafte Politik-Debatte. Und der erfahrene Livingstone wirkte neben dem jungen Herausforderer oft lustlos und seltsam distanziert.

Kampf um Zweitstimmen

Die meisten Umfragen zeigen Ken und Boris fast gleichauf. Es ist anzunehmen, dass derjenige ins Rathaus einziehen wird, der die meisten Zweitstimmen auf sich vereinigen kann. Ken Livingstone wirbt daher offensiv um die Zweitstimmen des Kandidaten der Liberaldemokraten. Brian Paddick, der schwule Ex-Polizist, will sich jedoch nicht festlegen lassen. ob er seinen Wählern lieber Johnson oder Livingstone ans Herz legen soll.

Zumindest einer der Kandidaten hat schon überlegt, was er tun will, wenn er verliert: Ken Livingstone hat bereits angedeutet, dass er sich vorstellen kann, an der Stelle von Johnson dessen gut bezahlte Dinner-Rede-Reisen anzutreten. Es klingt, als bereite er sich schon auf seinen Ruhestand vor. Vielleicht wollte er damit jedoch nur die Wähler aufschrecken, die einen solchen Dinner-Redner nicht als ihren Bürgermeister wollen.