Meinung Merz hat recht. Doch seine Antworten sind falsch

Friedrich Merz hat eine Debatte um das Stadtbild ausgelöst
War es ein Volltreffer oder ging es ins Auge? Friedrich Merz hat mit dem "Stadtbild" mal wieder eine missverständliche Äußerung getätigt
© Chris Emil Janssen / Imago Images
CDU-Chef Friedrich Merz hat mit seinen "Stadtbild"-Äußerungen einen Nerv getroffen, aber vor den wahren Problemen bei der Integration junger Migranten drückt er sich.

Vor Bahnhöfen, an zentralen Plätzen oder in Parks – wer sich abends oder nachts durch größere Städte bewegt, kennt sie, die Menschenansammlungen, das Gedränge, das mal fröhlich summt, aber auch plötzlich in Aggressivität umschlagen kann. Ein blöder Spruch, ein in den Weg gestelltes Bein, eine ausgefahrene Schulter. Es sind oft junge Männer, die nicht so aussehen wie die betrunkenen Dorfburschen in den Heimatfilmen aus den 50er Jahren und auch nicht wie die "Halbstarken"-Rocker à la Horst Buchholz. Dagegen spricht allein die Wahrscheinlichkeit: Denn in Deutschland hat heute mehr als jeder Dritte zwischen 15 und 25 Jahren einen Migrationshintergrund.

Die Beobachtung von Friedrich Merz ist nicht falsch

Ansammlungen junger Männer konnten schon immer Probleme bedeuten. Die Leidtragenden waren und sind oft Frauen, ob auf dem Schützenfest, beim Karneval und nun eben in den Innenstädten, besonders extrem bei den sexuellen Übergriffen auf der Kölner Domplatte Silvester 2015. Dass unter den jungen Männern, die draußen unterwegs sind, heute viele Zuwanderer sind, ist nicht verwunderlich. Sie leben in beengten Verhältnissen, haben wenig Geld und viel Zeit. Insofern ist die "Stadtbild"-Beobachtung von Friedrich Merz nicht grundsätzlich falsch – und das können nicht nur "Töchter" bestätigen. 

Völlig daneben liegt der Kanzler aber bei der suggerierten Lösung. Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) sei ja "dabei, jetzt in sehr großem Umfang Rückführungen zu ermöglichen und durchzuführen". Zwar ist die Zahl der Abschiebungen tatsächlich gestiegen – auf 12.000 im ersten Halbjahr. Ausreisepflichtig sind aber 225.000 Menschen, die zum großen Teil geduldet werden. Die Abschiebung von Hunderttausenden ist völlig unrealistisch. Weder haben die Behörden die Kapazitäten dafür, noch gibt es eine entsprechende Aufnahmebereitschaft in den Herkunftsländern.

Das Festhalten an der Illusion von Abschiebungen im großen Stil ist aber auch deswegen fatal, weil es die Integration behindert und Deutschland Arbeitskräfte braucht. Nicht nur IT-Experten, sondern auch Ungelernte als Spüler in der Gastronomie, als Helfer in der Pflege oder Paketfahrer zu Weihnachten.

Die größte Integrationsmaschine ist der Arbeitsmarkt 

Möglicherweise gelingt es Merz und Dobrindt, mit Grenzkontrollen Migranten abzuschrecken, aber mit ihren weitgehend leeren Abschiebedrohungen verbessern sie das "Stadtbild" sicher nicht. Zumal ein Teil der Verhaltensauffälligen einen deutschen Pass hat, weil sie hier geboren sind. Die größte Integrationsmaschine ist immer noch die Arbeitswelt. Aus Fremden werden Kollegen, die deutsche Sprache wird geübt, und mit dem Lohn lässt sich eine Wohnung mieten oder die Mitgliedschaft im Fitnessstudio bezahlen. 

Von Politikern der AfD, aber auch aus CDU/CSU wird oft behauptet, Migranten würde vor allem das deutsche Bürgergeld anlocken. Dabei ist die Motivation, zu arbeiten, hoch: Rund zwei Drittel der Geflüchteten, die im Jahr 2015 kamen, haben heute einen Arbeitsplatz. Nach acht und mehr Jahren sind von den geflüchteten Männern sogar 84 Prozent erwerbstätig. Damit sind sie sogar etwas fleißiger als die Gesamtheit der in Deutschland lebenden Männer. 

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Der Weg in den Arbeitsmarkt ist aber steinig. Deutschland finanziert Asylsuchenden zunächst lieber den Unterhalt, als sie möglichst schnell für sich selbst aufkommen zu lassen. In den ersten drei Monaten nach der Einreise gilt ein Beschäftigungsverbot. Wer in Erstaufnahmeeinrichtungen untergebracht ist, darf erst nach sechs Monaten arbeiten. Solange das Asylverfahren andauert oder nur eine Duldung erteilt wurde, muss die Arbeitserlaubnis bei der Ausländerbehörde beantragt werden. Und für Geflüchtete aus sogenannten sicheren Herkunftsstaaten gilt ein generelles Beschäftigungsverbot. 

Wenn Friedrich Merz hier mal seinen Drang zum Bürokratieabbau ausleben würde, könnte er schnell einige zehntausend junge Männer von der Straße holen.

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