Seit Wochen mühen sich politische Kommentatoren in Großbritannien ihren Lesern die komplizierten Vorschriften für korrekte Wahlspenden näher zu bringen: Abgeordnete und Minister der regierenden Labour-Partei haben in drei Fällen auf ziemlich undurchsichtigen Wegen Gelder für politische Zwecke gesammelt. Der Arbeitsminister musste bereits gehen, andere Untersuchungen haben gerade erst begonnen. Für Aufregung haben diese Enthüllungen allenfalls in den Fluren des Parlamentsgebäudes gesorgt. Die britische Öffentlichkeit scheinen die finanziellen Unregelmäßigkeiten wenig zu interessieren.
Cornelia Fuchs
London ist der Nabel der Welt und Europa immer noch "der Kontinent". stern-Korrespondentin Cornelia Fuchs beschreibt in ihrer wöchentlichen stern.de-Kolumne das Leben zwischen Canary Wharf und Buckingham Palace, zwischen Downing Street und Notting Hill.
Das Parlament als Familienbetrieb
Doch jetzt haben die Briten wieder einen politischen Skandal, der sich sehen lassen kann. Viel Geld ist im Spiel, noch mehr Nepotismus und sogar ein bisschen Sex. Im Mittelpunkt steht ein konservatives Urgestein der Tories. Derek Conway hat sich aus bescheidenen Verhältnissen zu einem der einflussreichsten Abgeordneten der Konservativen hochgearbeitet. Er konnte es sich leisten, den neuen Vorsitzenden David Cameron als "Notting-Hill-Type" zu bezeichnen, der zu lange mit Gleichgesinnten in Bistros Latte Macchiato schlürft, um die wahren Bedürfnisse seiner Wähler zu kennen.
Dieser Derek Conway fühlte sich offensichtlich so zu Hause im Parlament, dass er seine ganze Familie als Aushilfen in seinem Büro anstellte. Frau Colette arbeitete als Sekretärin und die zwei Söhne Freddie und Henry bekamen Geld als Recherche-Hilfen. Insgesamt 120.000 Euro hat er allein seinen Söhnen für ihre Arbeit bezahlt. Doch jetzt kam heraus, dass die beiden kaum Zeit im Parlament verbracht haben. Freddie studierte in der Zeit seiner Anstellung im weit entfernten Newcastle im Norden Englands - und Henry etablierte sich als Partykönig für die Schönen und Reichen im Londoner Stadtteil Chelsea.
"Blond, vergnügt und für Jungs"
Es war dieser Henry, der die Affäre aus einer zwar ärgerlichen, aber relativ harmlosen Veruntreuung zum perfekten Medienskandal verwandelte. Henry hatte noch im vergangenen Jahr eine Party im Nachtclub Mahiki organisiert, zu der unter dem vielversprechenden Motto "Fuck off - ich bin reich" eingeladen wurde. Der Nachtclub wird auch von den Prinzen William und Henry regelmäßig aufgesucht. Henry spricht über sich selbst als "blond, vergnügt und für Jungs".
Bestückt mit Bonmots und Bildern von Henrys "Facebook"-Webseite, auf der er seinen Freunden seine neuesten Gedanken und Nachtaktivitäten mitteilte, gab es vor allem für die englischen Boulevard-Zeitungen nichts Schöneres, als Conway Junior mit auffälligen Broschen, schwingendem Haar und mit vielen jungen, schönen Menschen abzubilden.
Rücksichtslos reich
Die ersten Kommentatoren wollten Henry schon in die nächste Sendung "Ich bin ein Star, holt mich hier raus" schicken. Dem schien der ganze Trubel nicht viel auszumachen - er verschickte noch Tage, nachdem schon eine Untersuchungskommission die Vertrags- und Familienverhältnisse seines Vaters in Augenschein nahm, die Einladungen für seine wöchentliche Party-Nacht. Die gingen, wie die Daily Mail minutiös recherchiert haben will, im übrigen auch an Kate Middleton, die neue alte Freundin des Thronfolgers Prinz William.
Henry, der sich selber angeblich gerne "Queen Sloane" nennt, passte perfekt in das Image der rücksichtslosen Reichen, das die Konservativen unter David Cameron seit Jahren zu verändern suchen. Er soll sich angeblich beschwert haben, dass er zumeist nur Jacken für nicht mehr als 750 Euro kaufen könne.
Da hilft es auch nicht, dass Derek Conway - nicht ganz zu Unrecht - in vielen Medienberichten homophobe Vorurteile gegen seinen Sohn entdeckte. Der Vater verteidigt seinen Sohn damit, dass dieser seine Arbeit von zu Hause erledigt habe. Briefe verschicken, E-Mails lesen und beantworten seien unter anderem seine Aufgaben gewesen.
Selbstverständliches Luxusleben
Doch die Leserreaktionen im Internet und in den Zeitungen zeigten mehr noch als Vorurteile gegen homosexuelle junge Männer eine Wut auf eine Schicht in England, die vieles für selbstverständlich hält, wovon die meisten nur träumen können. Conways Söhne gingen beide auf eine der teuersten Privatschulen Londons. Conway selber behauptete fest, dass er seinen Söhnen nun wirklich nicht zu viel gezahlt habe. Tatsächlich lagen die jährlichen Einnahmen der feier-freudigen Studenten weit über dem, was in Großbritannien von Vollzeitangestellten durchschnittlich verdient wird. Nur 20 Prozent der Briten haben ein Jahreseinkommen von mehr als 30.000 Euro. Freddie und Henry bekamen über 50.000 Euro.
Mit solchen Aussagen hat Conway den Tories wahrscheinlich noch mehr geschadet als mit der Tatsache, dass er seinen Söhnen für Nichtstun viel Geld gezahlt hat. Seit seiner Wahl zum Parteivorsitzenden versucht David Cameron die Tories zu einer Partei der britischen Mitte zu machen. Doch diese Mitte verzeiht nur schwer, wenn jemand vor ihrer Nase den realitätsfernen reichen Oberklasse-Clown gibt. Die Quittung gab es daher gleich: Zum ersten Mal seit Monaten haben die Konservativen in Umfragen leicht verloren.