Very British Anti-Terrorgesetze gegen Schulkinder

Eigentlich sind sie dafür zuständig, das Leben der britischen Bürger einfacher zu machen: Die Kommunen sind verantwortlich für Müllabfuhr, gesundes Essen in der Schule und saubere Bürgersteige. Und neuerdings auch fürs Bespitzeln.

Jenny Paton wollte alles ganz richtig machen. Seit zehn Jahren lebte sie mit ihrem Lebensgefährten in einem Haus im Norden von Poole, Landkreis Dorset, und nach der Geburt ihres dritten Kindes, einer heute drei-jährigen Tochter, wollten sie noch genau so lange in ihrem Heim wohnen bleiben, bis ihre Tochter sich für einen Platz in der besten Grundschule in Poole anmelden konnte. In England werden Kinder, wie auch in Deutschland, nach bestimmten Einzugsgebieten auf staatliche Schulen verteilt - Familie Paton hatte sehr genau ausgerechnet, bis wann sie noch die alte Adresse beibehalten musste, um sich für den gewünschten Grundschulplatz ihrer Tochter zu qualifizieren. Unmittelbar nach diesem Stichtag verkaufte die Familie ihr Haus und zog kurze Zeit später um, weg aus dem Einzugsgebiet der Grundschule, in die ihre Tochter nun gehen sollte.

Doch sie hatte nicht mit der Lokalverwaltung in Poole gerechnet. Die verdächtigte die Patons der kriminellen Energie zur Erschwindelung eines Schul-Platzes, genauer: der Falschangabe einer Adresse im Einzugsgebiet der Grundschule - und setzte RIPA in Gang, das seit acht Jahren wirksame Gesetz zur geheimen Überwachung schwerer Krimineller und Terroristen.

"Gardinen offen und alle Lichter im Haus an"

Die Mutter und ihre drei Kinder wurden vom 13. Februar bis zum 3. März diesen Jahres von einem Angestellten der Lokalverwaltung verfolgt, die Wege zu und von der Schule vermerkt: "Frau und drei Kinder besteigen Zielfahrzeug und fahren weg", heißt es da oder: "Gardinen offen und alle Lichter im Haus an".

Die Behörde fand trotz aller Mühe nichts Illegales im Handeln der Familie. Und unterrichtete Jenny Paton von ihrer Zeit als Spitzelobjekt, als diese im Schulgespräch von der erfolgreichen Platzierung ihrer Tochter in der gewünschten Schule erfuhr. "Das ist doch gruselig", sagt Paton, "da haben mir und meinen Kindern Menschen hinterherspioniert, die einfach an meine Tür hätten klopfen und mich fragen können. Das ist unglaublich!"

Cornelia Fuchs

London ist der Nabel der Welt und Europa immer noch "der Kontinent". stern-Korrespondentin Cornelia Fuchs beschreibt in ihrer wöchentlichen stern.de-Kolumne das Leben zwischen Canary Wharf und Buckingham Palace, zwischen Downing Street und Notting Hill.

Aber, wie die britische Öffentlichkeit im Zuge der folgenden Berichterstattung feststellen musste, kein Einzelfall. Wie Recherchen der Press Association in ganz England ergaben, nutzen immer mehr Lokalbehörden die vor acht Jahren neu verabschiedeten Überwachungsgesetze gegen die eigenen Bürger. Die Behörden in Poole zum Beispiel überwachten nicht nur sechs weitere Schulkinder und deren Eltern, sondern auch Fischer, die illegal Schellfisch angelten. In anderen Teilen Englands führte das Nicht-Wegräumen von Hundekot zum Spitzelangriff oder fragwürdige Umsetzungen von Planungsrecht, Vermüllung von Vorgärten, Arbeit während einer Krankmeldung und das unrechtmäßige Benutzen eines Behinderten-Parkausweises.

Der englische Verband der Lokalverwaltungen teilt auf Nachfrage mit, dass 3000 Überwachungsfälle pro Jahr in England und Wales von Kommunen angemeldet worden seien – das ist immerhin ein Viertel aller Anträge, die mit den relativ neuen Überwachungsgesetzen arbeiten. In Liverpool ist gerade eine Abteilung der Kommune in Verruf geraten, weil ein Angestellter die Einzelnachweise des Telefonanschlusses des Oppositionsführers im Lokalparlament angefordert hatte. Angeblich auf eigene Initiative.

653 Institutionen dürfen spitzeln

653 verschiedene Institutionen können laut Gesetz entscheiden, Spitzel einzusetzen, genehmigt werden muss dies nicht von einem Gericht, sondern von einer höheren Stelle im eigenen Laden. Kritiker beklagen seit einigen Jahren, dass sich Großbritannien in einen Überwachungsstaat verwandelt. Doch bisher hat dies die Bürger selbst wenig aufgeregt – wer nichts zu verbergen hat, der hat nichts zu befürchten, so die häufig geäußerte Meinung.

Doch seit dem Fall der Schuleltern in Poole ändert sich die Diskussion. Bürger merken, dass schon fürchten muss, wer den Mülleimer etwas offen oder zu früh vor der Haustür stehen lässt. Die Strafen folgen auf dem Fuß und können mehrere Hundert britische Pfund betragen. Und plötzlich fühlt sich keiner so mehr frei – auch wenn er nichts zu verbergen hat.

Der Lokalverwaltungs-Verband hat verstanden, dass sich die öffentliche Empörung angesichts übereifriger Spitzeltätigkeit gegen die eigenen Bürger nicht legen wird. Sein Vorstand, Sir Simon Milton, hat in dieser Woche seine Kollegen zur Mäßigung aufgerufen. "Die Macht der Überwachung sollte niemals leichtfertig angewendet werden", ließ er in einem wohlformulierten Brief verlauten. Sein Argument: Wer es mit dem Spitzeln zu doll treibe, dem wird es vielleicht bald ganz aus der Hand genommen. Und das wäre schade, es gibt nämlich einige, die das Spitzeln verdient haben: illegale Mülldeponierer zum Beispiel, Straßenhändler ohne Lizenz, Kommunensteuer-Hinterzieher und Sozialhilfe-Betrüger.