Es wird allgemein erwartet, dass die nächsten Wochen in London zumindest auf dem politischen Parkett besonders werden. Denn schon ohne offiziellen Wahlkampf waren die Auseinandersetzungen zwischen Boris Johnson, dem blonden Konservativen, und Ken Livingstone, dem alten linken Haudegen, unterhaltsam. Brian Paddick, der Kandidat der Liberalen, fiel vor allem durch ausgewählt ruhige Beiträge auf, vielleicht eine gute Strategie in einem Wahlkampf, der sich, so die Befürchtungen, in eine Art Zirkus verwandeln könnte.
Denn das erste Mal steht dem bisherigen Londoner Bürgermeister Livingstone eine wahre Herausforderung gegenüber. Und dies ist auch noch ein Mann, der in seinem bisherigen Politiker-Leben vor allem durch Talkshow-Auftritte, sein loses Mundwerk und mehrere Affären aufgefallen ist. Boris Johnson musste sogar eine Entschuldigungsreise nach Liverpool antreten, nachdem er die Einwohner der von Wirtschaftsproblemen und Fußballkatastrophen gebeutelten Stadt eine Ansammlung von Heulern und Seufzern genannt hatte, die sich gefälligst angesichts der Enthauptung ihres Mitbürger Ken Bigley im Irak einmal zusammen nehmen sollten.
Negativ-Schlagzeilen verhindern
Wer Boris Johnson näher kennt, schwärmt von seiner Intelligenz, die auch sein schuljungen-ähnliches Auftreten mit ungekämmtem Wischmop auf dem Kopf und selten gerade sitzenden Anzügen nicht ganz verstecken kann. Die größte Leistung seines Wahlkampf-Teams scheint bisher gewesen zu sein, Negativ-Schlagzeilen über ihn zu verhindern. Dafür haben seine Gegner alte Reden von ihm herausgekramt, in dem er Bewohner der Demokratischen Republik Kongo als "melonengrinsende piccaninnies" bezeichnete, eine Redewendung, die nicht auf Zustimmung der vielen ethnischen Minderheiten der Londoner Wählerschaft treffen dürfte.
Doch auch Ken Livingstone beginnt den Wahlkampf mit einer schweren Last: Einer seiner engsten Mitarbeiter, Lee Jasper, musste angesichts von Gerüchten zurückgetreten, er habe zehntausende Pfund an undurchsichtige Bürgerinitiativen weitergeleitet, die ihm anscheinend alle ein bisschen zu nahe gestanden haben. Bewiesen ist an den Vorwürfen noch nichts, aber ein schlechter Beigeschmack bleibt dennoch.
Cornelia Fuchs
London ist der Nabel der Welt und Europa immer noch "der Kontinent". stern-Korrespondentin Cornelia Fuchs beschreibt in ihrer wöchentlichen stern.de-Kolumne das Leben zwischen Canary Wharf und Buckingham Palace, zwischen Downing Street und Notting Hill.
Ken Livingstone residiert seit zwei Legislaturperioden im Bürgermeisteramt von London. Er hat seinen Job, so sahen das zumindest bis vor einiger Zeit noch viele in der britischen Hauptstadt, größtenteils gut gemacht. Er gilt als umweltbewusster Politiker, seine integrative Politik hat viel dazu beigetragen, dass London als eine der internationalsten Städte der Welt gilt. Er hat den Nahverkehr ausgebaut, wenn auch auf Kosten eines jeden Autofahrers in der Innenstadt, die Livingstone mit einer Maut belegt hat.
Öl-Deal für billige Bustickets
In seiner Amtszeit wurde London zur Olympiastadt 2012 gewählt, und das Londoner Lebensgefühl in der Hauptstadt war in den vergangenen Jahren trotz hoher Lebenskosten positiv. Nach den Anschlägen des 7. Juli 2005 fand Livingstone klare, harte Worte an die Selbstmordbomber: "Egal wie viele von uns Ihr töten mögt, nichts wird den Zufluss in diese Stadt stoppen, in der Freiheit herrscht und in der Menschen in Frieden miteinander leben. Was immer Ihr tut, wie viele Ihr töten mögt, Ihr werdet verlieren."
Doch Livingstone, schon immer als selbstherrlich bekannt, schien sein zweimaliger Wahlerfolg auch zu Kopf gestiegen zu sein. Immer wieder wollte er auch Außenpolitiker spielen, schloss gar einen Öl-Deal mit dem ultra-linken Regierungschef von Venezuela, Hugo Chavez ab, der, so Livingstone, sozialschwachen Londonern billigere Bustickets verschaffe.
Kritik mochte er noch nie, im Februar 2005 verglich er einen britischen Journalisten mit einem "Konzentrationslager-Wächter", der "nur etwas nur macht, weil er dafür bezahlt wird" - weil dieser für die von Livingstone verachtete Londoner Zeitung "Evening Standard" arbeitete. Livingstone ignorierte dabei bewusst den Hinweis des Journalisten, dass er jüdischer Abstammung sei und daher diese Bemerkung als äußerst verletzend empfinde. Ein Jahr lang weigerte sich der Bürgermeister, sich für die Äußerung zu entschuldigen, da halfen auch Sondersitzungen des Londoner Parlaments nichts.
Polizist will London retten
Für Livingstone, so schien Livingstone zu glauben, galten schon immer andere Maßstäbe als für andere Bewohner Londons. Bleibt noch der dritte Kandidat der Liberalen: Brian Paddick ist vor allem durch seine Kritik an der fehlgeleiteten Polizei-Aktion bekannt geworden, während der nach den versuchten Terroranschlägen in der Londoner U-Bahn am 22. Juli 2005 ein junger Brasilianer erschossen wurde. Er war einer der wenigen führenden Polizei-Offiziere, die sich offen zu seiner Homosexualität bekannten. In ersten Umfragen werden ihm bis zu 12 Prozent der Stimmen zugesprochen.
Diese Umfragen zeigen auch, dass sich Livingstone mit seinen Selbstherrlichkeiten bisher keinen Gefallen getan hat. Er liegt mit 37 Prozent 12 Prozentpunkte hinter Johnson. In seiner ersten Wahlrede ließ er anklingen, dass er Johnsons Herausforderung angenommen hat: "Die Zukunft Londons steht auf dem Spiel! Ich stehe vor dem politischen Kampf meines Lebens."