Die Londoner freuen sich auf den Wahlkampf um das Bürgermeister-Amt. Sie freuen sich, seit offiziell ist, dass tatsächlich dieser Mann gegen den bisherigen Amtsinhaber Ken Livingstone antreten wird: Alexander Boris de Pfeffel Johnson, bekannt für seinen Haarschopf und für brillante Bonmots, die seinem Namen alle Ehre machen. Er muss zwar noch Ende September als Kandidat der Konservativen bestätigt werden, aber dies erscheint nach ersten Umfragen, in denen er schon jetzt sechs Prozentpunkte vor Bürgermeister Livingstone liegt, nur noch eine Formsache zu sein.
Die Wunderwaffe der Konservativen
Herr de Pfeffel Johnson, oder Boris, wie er inzwischen überall genannt wird, ist der größte Charakterkopf der konservativen britischen Politik. Dabei hat er noch kaum Ämter innegehabt. Er war verantwortlich für die Künste im Schattenkabinett des konservativen Parteiführers Michael Howard 2004. Der entfernte ihn gleich wieder aus der vorderen Oppositions-Bank, nachdem Johnson seine außereheliche Affäre mit der New-York-Korrespondentin des "Spectators" mit den Worten dies sei "complete balderdash, an inverted pyramid of piffle" abstritt. Doch keine drei Jahre später setzte ihn der heutige Tory-Vorsitzende David Cameron als Bildungs-Schattenminister wieder ein.
Boris Johnson ist ein Faktotum der Konservativen, kaum bekannt für seine Vorschläge, wie Schulen oder Museen zu verbessern seien. Stattdessen wirkt er wie eine zu früh losgelassene Wunderwaffe, die auch gerne einmal in den eigenen Reihen Chaos hinterlässt. Schon als Student und Vorsitzender des Debattierclubs der Universität Oxford galt er als brillanter Redner. Während einer Studenten-Aufführung des Shakespeare-Stücks "Richard II." soll er weite Teile seiner Monologe auf der Bühne erfunden haben, in perfekten Jamben. Er hatte seinen Text nicht gelernt. Seine Karriere als Journalist (Daily Telegraph und Times) und Chefredakteur (Spectator) ist mit wortgewaltigen Kolumnen und den Vorwürfen gesäumt, er würde auf nichts und niemanden Rücksicht nehmen. Auch nicht auf die Wahrheit.
"Sorry" ist ein für ihn untypisches Wort
Einer der größten Fettnäpfe, in die Boris Johnson mit seiner ungeschminkten Art schon hinein getreten ist, war seine Beleidigung aller Bewohner der Stadt Liverpool. Denen warf er vor, sich in ihrem Opferstatus zu suhlen. Seine Kolumne erschien zu einer Zeit, als die Stadt den Tod der britischen Irak-Geisel Ken Bigley betrauerte, der wochenlang immer wieder in Videoaufnahmen um sein Leben gefleht hatte und schließlich vor laufender Kamera auf brutalste Weise ermordet worden war. In dieser Atmosphäre sprach Johnson von "einer sich vertiefenden Stammestrauer in der Stadt", die diese von eigentlich notwendiger Eigeninitiative abhalte.
Inmitten einer Sturm der Entrüstung über Johnsons Worte, schickte ihn der Parteivorsitzende Michael Howard nach Liverpool, wo Johnson ein für ihn untypisches einfaches Wort äußerte: "Sorry!" Wenige Wochen später erregte er jedoch schon wieder den Unmut von Papua-Neuguinea, nachdem er dessen Einwohner als Kannibalen bezeichnet hatte. Sein Kommentar zur neuen Aufregung: "Ich reihe Papua-Neuguinea gerne auf meiner Entschuldigungs-Tour ein."
Probleme deutlich ansprechen
Doch es sind gerade die ungeschminkten Äußerungen dieses rechten Politikers, die Boris Johnson für das Amt des Londoner Bürgermeisters so attraktiv machen. Er verspricht, in alter Boris-Tradition, kein Blatt vor den Mund zu nehmen. Und so, wie er Blair "eine Mischung aus Houdini und einem eingeschmierten Ferkel" genannt hat, so deutlich will er sich auch über die Probleme der Stadt äußern, sagt er. Über das an allen Ecken und Kanten knarzende U-Bahn-Netzwerk, den Immobilienmarkt, der für jeden Normalverdiener zu teuer geworden ist, und die Jugendkriminalität, die aus dem Ruder zu laufen scheint.
In einer Stadt, die seit fast acht Jahren von einem ziemlich weit links stehenden Bürgermeister verwaltet wird, der gerade mit dem venezolanischen Präsidenten Hugo Chavez einen Öl-Deal vereinbart hat, der Londoner Bussen billigen Treibstoff und Venezuela Stadtplaner-Ideen beschert, wirkt das lose Mundwerk von Boris Johnson wie ein Urlaub von der "political correctness". Diese Rücksichtnahme auf Minderheiten soll, so posaunen es die rechtsgerichteten Zeitungen wie die "Daily Mail" fast jeden Tag hinaus, für so ziemlich alles verantwortlich sein - von nicht funktionierender Müllabfuhr bis zu nicht funktionierenden Schulen, in denen Kinder nicht mehr geprügelt werden dürfen.
Der Wolf im Schafspelz
Seine politischen Gegner sehen in Johnsons offenen Worten allerdings kaum verdeckten Rassismus und Sexismus. Johnson wird vorgeworfen, die Bewohner der Commonwealth-Länder als "Flaggen wedelnde Piccaninnies" und die Bewohner des Kongos so beschrieben zu haben: "Die Pangas werden aufhören, menschliches Fleisch zu hacken, und die Stammeskrieger werden alle in Wassermelonen-Grinserei verfallen, um den großen weißen Chef landen zu sehen." Sie werfen Boris Johnson vor, ein Wolf im Schafspelz zu sein - ein Ultrarechter in der Verkleidung eines Clowns.
Tatsächlich kommt wohl kaum ein britischer Politiker der Karikatur des Oberklassen-Toffs so nahe wie Boris Johnson. Zur Schule ist er in Eton gegangen, dem ultimativen Elite-Internat, das auch die Prinzen William und Harry besucht haben. Dann studierte er die klassische Geschichte des Altertums am Balliol-College in Oxford und war dort Mitglied des Bullingdon-Clubs, bekannt für seine Champagnergetränkten, ausufernden Besäufnisse, bei denen auch gerne einmal Hotelzimmer der gehobenen Sterne-Kategorie kaputt gingen.
Livingstone sieht echten Herausforderer
Doch gegen den Vorwurf, ein rassistischer, unmoderner Verfechter uralter Ideen zu sein, wehrt sich Boris Johnson. Er sagt, er sei ein "Ein-Mann-melting-pot" mit türkisch-jüdischen Großeltern - sein Urgroßvater war für kurze Zeit der letzte Innenminister des ottomanischen Reiches. Auf seiner Anmeldung als Kandidat für das Amt des Londoner Bürgermeisters lässt er durchblicken, wieso er seit Jahren ein gern gesehener Gast in britischen Talkshows ist. Unter der Frage, welche Herausforderungen er als Politiker schon angenommen habe, schreibt Johnson: "Habe versucht, bei der Erziehung von vier Kindern in London zu helfen. Ergebnis: zu früh, um Aussagen zu machen, aber Tendenz vielversprechend. Hyde Park Corner mit dem Fahrrad überwunden. Ergebnis: Überlebt."
Der Bürgermeister Ken Livingstone ist gesichtet worden, wie er die Biographie von Boris Johnson in der U-Bahn gelesen hat. Seine ersten Reaktionen waren erstaunlich scharf: "Jemanden mit solch rechtem Gedankengut und mit so wenig Erfahrung in praktischem Management London leiten zu lassen, wäre kein Witz, sondern ernsthaft gefährlich für London." Beobachter werten dies als Hinweis, dass Livingstone das erste Mal seit seiner Wiederwahl zum Bürgermeister nun einen wirklichen Herausforderer in Johnson sieht.
Der bereitet seinen Wahlkampf vor - und sein Wahlkampfteam sieht sicher mit Freude, dass viele britische Zeitungen Boris-Johnson-Zitate aus den Archiven hervorkramen und neu veröffentlichen. Darunter auch dieses, das Johnson seinen Parteikollegen vortrug, nachdem er 2004 gerade als Oppositions-Minister für die Künste entlassen wurde: "Meine Freunde, ich habe gerade selber festgestellt - es gibt keine Katastrophen, sondern nur Möglichkeiten. Und, wahrhaftig, Möglichkeiten für neue Katastrophen."