Vor acht Jahrzehnten musste Raisa Valiushkevych zum ersten Mal aus der Ukraine fliehen, damals vor den Deutschen. Es sei paradox, sagt die 98-Jährige, dass ihr das Nazi-Deutschland von damals heute einen sicheren Hafen vor der Bombardierung durch russische Truppen bieten würde.
Video Erst die Deutschen, dann die Russen

STORY: Raisa Valiushkevych ist als Geflüchtete nach Deutschland gekommen, aus der Ukraine. So schlimm bereits EINE Fluchterfahrung für einen Menschen ist - für die 98-Jährige ist es nicht das erste Mal, das sie ihre Heimat verlassen muss. Raisa ist Holocaust-Überlebende. Vor acht Jahrzehnten floh sie zum ersten Mal aus der Ukraine - Richtung Osten, nach Kasachstan. "Vor wem sind wir damals geflüchtet? Nun ja, es war Krieg, die Deutschen griffen an, und wir flohen. Es gab eine Front und wir sind geflüchtet. Vor dem Krieg, wir sind vor dem Krieg geflohen." Es sei paradox, sagt Raisa, dass ihr das Nazi-Deutschland von damals heute einen sicheren Hafen vor der Bombardierung durch russische Truppen bieten würde. Freiwillige und jüdische Hilfsorganisationen brachten sie und ihren Sohn Vadim nach Frankfurt, in ein jüdisches Pflegeheim. "Wir wurden morgens angerufen und mussten uns entscheiden, ob wir flüchten wollen oder nicht - wir hatten drei Stunden Zeit zum Packen. Wir dachten darüber nach - und entschieden uns dann, dass wir gehen. Also packten wir zusammen und machten uns auf." "Wenn es nicht für meine Mutter gewesen wäre, ich wäre wahrscheinlich geblieben. Aber sie musste einfach fort, denn der Luftschutzkeller war 300 Meter entfernt. Bis wir mit ihr dort gewesen wären, wäre entweder der Alarm vorbei oder man wurde getroffen. Wie auch immer, wir hatten die Gelegenheit, und wir beschlossen, zu gehen." "Wir haben hier ein neues Heim gefunden und fühlen uns wohl. Ich bin gut aufgenommen worden. Ich danke Ihnen, ich bin sehr dankbar. Und ich muss nicht einmal daran denken, nach Kiew zurückzumüssen." Mitorganisiert hat die komplizierte Flucht Rüdiger Mahlo von der Jewish Claims Conference. "Also die Evakuierung von schwerstpflegebedürftigen Personen ist hochkompliziert. Sie müssen sich vorstellen, diese Personen werden angerufen von Leuten, mit denen sie ein Vertrauensverhältnis haben. Aber dann kommen die nächsten Fragen: Was passiert mit mir in Deutschland? Wer kümmert sich um mich in Deutschland? Ich habe nur eine kleine Wohnung hier. Was passiert überhaupt damit? Und sonst, wenn ich jetzt hier weggehe - habe ich gar nichts. Die gehen ja teilweise nur mit einer Plastiktüte oder einem kleinen Rucksack, kommen Sie nach Deutschland." Nicht alle Überlebenden seien glücklich über die Idee, nach Deutschland zu kommen, sagt Mahlo. Die Claims Conference bemüht sich, Plätze in jüdischen Pflegeheimen oder in Heimen mit russisch- oder ukrainischsprachigem Personal zu finden. "Am Ende geht es um diese eine Person, diesen Menschen, dass man den irgendwo gerettet hat. Und man hat halt keine... man hat keine Chance, zu versagen bei diesem Punkt."