Jahrestag der Rettung der chilenischen Bergleute Schatten über dem Happy End

Vor einem Jahr blickte die ganze Welt nach Chile: 33 Bergarbeiter wurden aus fast 700 Metern Tiefe an die Erdoberfläche geholt. Doch viele Kumpel sind noch immer nicht richtig ins Leben zurückgekehrt.

Dreiunddreißig Männer leben 69 Tage und Nächte in einem engen Schutzraum. Der Boden ist feucht, die Hitze unerträglich. Die Temperatur liegt bei 32 Grad, die Luftfeuchtigkeit bei 95 Prozent. Es ist so finster, dass Lampen Tag und Nacht simulieren müssen. Hier unten sind die Männer noch normale Bergarbeiter, oben werden sie schon als Helden gefeiert. Ihre Rückkehr wird sehnsüchtig erwartet - von ihren Angehörigen, aber auch von zahlreichen Journalisten und chilenischen Politikern, die sich einen Imagegewinn erhoffen.

Dann die Rettung, endlich wieder Tageslicht. In den ersten Minuten des 13. Oktober 2010 begann die Bergung mit der Rettungskapsel "Phönix". Ein Kumpel nach dem anderen wurde aus fast 700 Meter unter der Erde unverletzt gerettet. Ein Wunder, das von Copiapó aus der nordchilenischen Wüste live in die Welt ausgestrahlt wurde.

1.600 Journalisten aus aller Welt waren vor Ort, wurden aber von der Regierung auf Abstand gehalten. Chile hatte längst eine geschickte Medienkampagne gestartet - mit eigenen Fotografen und Kameramännern. Der Schichtleiter Luis Urzúa stieg 24 Stunden später als letzter in die "Phönix", das schmale Gefährt, das heute in aller Welt ausgestellt wird.

Ein Jahr nach dem "Happy End" des Unglücks in der Goldmine San José wird in Chile groß gefeiert. Der Alltag der Überlebenden sieht aber weniger glücklich aus. Und in den Minen in Chile ist die Arbeit der Bergleute auch nicht sicherer geworden. Andere Opfer erleben keine wundersame Rettung. Wilfredo del Carmen Jiménez kam am letzten Samstag in einer Mine in der südchilenischen Provinz Melipilla um.

Sein Bruder klagte, er habe ohne Vertrag gearbeitet. Die chilenischen Behörden zählten im letzten Jahrzehnt 373 Tote bei der Arbeit in den Minen. Und auch wenn sie keine Unfälle erleben, haben die Kumpel in Chile einen harten Alltag: 51 Stunden arbeiten sie im Durchschnitt in der Woche.

"Es geht uns 33 nicht so gut."

Auch den Überlebenden von Copiapó ergeht es trotz der Beförderung zu Helden nicht sonderlich gut. Erst ein Jahr nach dem Unfall wurde der Hälfte der 33 Kumpel eine Sonderrente zugesprochen und den insgesamt 200 Bergleuten der Kupfermine San José Abfindungen ausgezahlt. Die stand ihnen zu, nachdem der Betrieb nach dem Unglück in die Pleite ging.

José Ojeda war der Autor des berühmten Zettels, mit dem sich die Verschütteten über eine schmale Bohrung zum ersten Mal unversehrt meldeten. Ein Jahr später schrieb er: "Es geht uns 33 nicht so gut." Ojeda leidet an Diabetes, sein Kollege Mario Gómez an einer Staublungenkrankheit. Und der Jüngste der Gruppe, Jimmy Sánchez, kann bis heute nicht recht schlafen. "Nach einem Jahr haben sie die Anpassung an Familie und Arbeit noch nicht geschafft", sagt Alberto. Er hatte als Chef des Psychologen-Teams die Rettung der Bergleute begleitet.

Von den "33 Helden" sind 15 arbeitslos, vier arbeiten wieder im Bergbau, viele sind weiterhin in psychologischer Behandlung. Nur fünf oder sechs haben aus dem dramatischen Erlebnis materiellen Nutzen gezogen, klagte Osmán Araya, einer der Geretteten, in einem Gespräch mit der argentinischen Zeitung "La Nación".

Filme und Merchandise

Auch für Staatspräsident Sebastián Piñera sieht die Bilanz ein Jahr später nicht so positiv aus. Die erfolgreiche Rettungsaktion brachte ihm kurzzeitig ein Popularitätshoch. Bei über 80 Prozent der Bevölkerung war er sehr beliebt. Heute kommt er nur auf knapp 20 Prozent. Die Kumpel wurden in den Schlagzeilen durch protestierende Studenten ersetzt.

Ein Filmproduzent in Hollywood bereitet die Verfilmung des "Wunders von Chile" vor. Eine Supermarktkette verkauft für knapp 4000 Pesos (6,50 Euros) in Santiago ein Set mit 19 Plastikfiguren, zu denen ein Kumpel mit Helm und Schutzbrille, die Rettungskapsel "Phönix" und ein Bohrer gehören. Ob von Film und Spielzeug finanziell auch was für die Kumpel abfällt, bleibt bisher fraglich.

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whm/DPA

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