Nach dem verheerenden Grubenunglück in der Türkei richten sich Trauer und Wut zunehmend gegen die Regierung. In Ankara demonstrierten am Mittwochabend mehrere tausend Menschen gegen Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan, die Polizei ging mit Tränengas und Wasserwerfern gegen die Menge vor. Bei dem Grubenunglück in Soma im Westen des Landes wurden mindestens 245 Menschen getötet, rund 120 Kumpel wurden am Mittwochabend noch vermisst.
"Unsere Hoffnungen werden immer geringer", gestand Energieminister Taner Yildiz ein. Seinen Angaben zufolge wurden bis zum Abend 245 Todesopfer geborgen. Im Gegenzug konnten fast 450 Kumpel nach Angaben des Minenbetreibers gerettet werden. Rund 80 von ihnen wurden verletzt.
In dem Kohle-Bergwerk war nach der Explosion eines Transformators am Dienstag ein Feuer ausgebrochen, das am Mittwoch weiter wütete. Tödliches Kohlenmonoxid behinderte die Rettungsarbeiten. Den Sicherheitskräften zufolge bildeten sich nach der Explosion in dem Bergwerk zwei Lufttaschen, von denen eine für die Rettungskräfte zugänglich, die zweite jedoch versperrt war.
Die meisten der Todesopfer starben an Kohlenmonoxidvergiftung. Hunderte verzweifelte Angehörige und Kollegen warteten den ganzen Mittwoch vor dem Grubeneingang auf Neuigkeiten. Nur vereinzelt wurden Überlebende ans Tageslicht gebracht, sie husteten und rangen nach Luft. Die Feuerwehr versuchte, Frischluft in den Schacht zu leiten, um die in zwei Kilometern Tiefe festsitzenden Arbeiter zu versorgen.
Auch Erdogan reiste nach Soma. Er kündigte umfassende Ermittlungen an und versprach, "keine Nachlässigkeit" zu dulden. Dutzende aufgebrachte Einwohner von Soma demonstrierten nahe dem Gebäude, in dem der Regierungschef seine Pressekonferenz hielt. Sie versetzten seinem Auto Fußtritte und forderten den Rücktritt der Regierung, wie die private Nachrichtenagentur Dogan berichtete.
Erdigan: Solche Arbeitsunfälle passieren "überall auf der Welt"
Erdogan wies jedoch jede Verantwortung der Regierung zurück: Derlei Arbeitsunfälle passierten "überall auf der Welt", sagte er. Das türkische Arbeitsministerium erklärte, die Grube sei zuletzt am 17. März auf Sicherheitsmängel untersucht worden und es habe keine Beanstandungen gegeben.
Kritiker werfen der Regierung vor, bei der Privatisierung vieler ehemals staatlicher Bergbaufirmen in den vergangenen Jahren die Einhaltung der Sicherheitsvorkehrungen ignoriert zu haben. Die Staatsanwaltschaft nahm am Mittwoch Ermittlungen auf, der linke Gewerkschaftsbund DISK sprach von einem "Massaker". Erst vor wenigen Wochen war die Oppositionspartei CHP im Parlament mit dem Versuch gescheitert, Zwischenfälle in der Grube von Soma untersuchen zu lassen.
Massenproteste in Ankara
In Ankara versammelten sich nach Angaben eines AFP-Fotografen am Abend zwischen 3000 und 4000 Menschen zu einer Demonstration. Als aus der Menge Feuerwerkskörper auf Polizisten geschossen wurden, schritten diese ein. Die Sicherheitskräfte gingen mit Tränengas und Wasserwerfer gegen die Menge vor. Auch in Istanbul löste die Polizei einen Protest von rund 50 Demonstranten auf, spontane Kundgebungen gab es auch andernorts.
Das Grubenunglück löste in der ganzen Welt Bestürzung aus. Bundespräsident Joachim Gauck schrieb in einem Kondolenztelegramm an seinen Kollegen Abdullah Gül, er habe "mit Trauer und Bestürzung" von dem Unglück erfahren. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wandte sich mit ähnlichen Worten an Erdogan und erklärte, Deutschland sei "zur Hilfe bereit". Auch die USA boten ihre Hilfe an und drückten ihr "aufrichtiges Beileid" aus.