Die Anklage, die die Staatsanwältin an einem trüben Novembernachmittag im Saal 378 des Landgerichts Hamburg verliest, ist derartig irrwitzig, dass es ihr schwerfällt, dabei ernst zu bleiben. Allein eine Kurzversion davon würde locker die Staffel einer Netflix-Serie füllen und im Grunde ist es genau das, weswegen Peter Mike Wappler wieder vor Gericht steht: Er zieht Leute mit hanebüchenen Geschichten über den Tisch. Früher hat er damit Millionen gemacht, zuletzt waren es verhältnismäßig schmale 400.000 Euro, weswegen er jetzt, wenige Tage vor Weihnachten, zu dreieinhalb Jahren verurteilt wurde.
Inszenierung einer nigerianischen Spam-Mail
Mitte 2018 hatte Wappler zusammen mit seinem Kumpel F. vorgetäuscht, eine Inkasso-Firma zu betreiben. Ihre Kunden: zwei wohlhabende Geschäftsleute aus Nordrhein-Westfalen. Einem der beiden versprach er, mithilfe von 20 Männern rund anderthalb Millionen wiederzubeschaffen. Als es zur Übergabe kommen sollte, erzählten Wappler und F. etwas von einem Anwalt in der Schweiz, der das Geld verwalte, doch leider gestorben sei und dessen unter Mordverdacht stehende Lebensgefährtin sich mit der Kohle nach Russland abgesetzt habe. Wenn er sein Geld wiedersehen wolle, müsse er noch ein paar weitere Spesen vorstrecken. Was der Mann aus der Nähe von Lippstadt auch tat. Das ist, wie gesagt, nur die Zusammenfassung. In Juristendeutsch verfasst und als Anklage verlesen, lässt diese Inszenierung einer nigerianischen Spam-Mail den Gerichtssaal kichern.

Peter Mike Wappler hat Routine als Angeklagter. Nicht zum ersten Mal sitzt er vor Gericht – obwohl er eigentlich schon geläutert schien. Als er 2013 das letzte Mal aus Hamburgs berüchtigtem Knast "Santa Fu" entlassen wurde, prahlte er damit, dass er immer noch eine Yacht besitze, eine Villa und seine 170.000-Euro-Rolex. Doch künftig sei es sein Ziel, als Betrüger-Berater andere Menschen vor Leuten wie ihm zu warnen. Die Polizei stand im vergangenen Frühjahr wieder vor seiner Tür. Es folgte ein halbes Jahr Untersuchungshaft, das ihm aber nicht besonders zugesetzt hat. "Sieht wohlgenährt aus", sagt am ersten Verhandlungstag jemand von den Zuschauerrängen zufrieden.
Sein Gesicht, ein einziger Vertrauensbeweis
Ein paar Meter links vor den Zuschauerrängen, in einer Reihe mit seinen Anwälten und dem Mitangeklagten F., sitzt Wappler da und hört sich die Ausführungen der Staatsanwältin an, halb interessiert, halb ungerührt, die Hände vor dem Bauch gefaltet. Anders als sonst trägt er nur ein schlichtes Jacket, strahlt aber immer noch diese warme Verschmitztheit aus, sein Gesicht ist ein einziger Vertrauensbeweis. Auch leugnet er die Taten nicht. "Es ist, wie es ist", sagt er lakonisch. Und das mit seinem Kumpanen F., ja, den habe er da mit hineingezogen, der habe ihm nur einen Freundschaftsdienst erwiesen, behauptet Peter Mike Wappler treuherzig.
In seinen besten Zeiten vor zehn, zwanzig Jahren, als er in Norddeutschland weltberühmt war unter seinem Spitznamen "Milliarden-Mike", posierte er mit Geldbündeln, Promis und seinem weißen Porsche vor den Fotografen der Boulevardpresse. Es gibt Bilder, die zeigen ihn mit den Größen der Hamburger Unterwelt. Und wenn er die nicht vom Hamburger Kiez kannte, dann aus "Santa Fu". Fast ein Drittel seines Lebens hat er dort verbracht, fast immer wegen Betruges, Hehlerei, Urkundenfälschungen und Ähnlichem. Der Gentleman-Gauner konnte gut davon leben. Sehr gut sogar. Viele Hunderte Millionen Euro soll er Zeit seines Lebens erschwindelt haben.
Zuhälter, Boxer, Börsenspekulant
Sein "Handwerk" hat er gelernt, als er mit seinem Vater übers Lübecker Land getingelt ist, um Antiquitäten zu verkaufen. Der war ein "Zigeunerkönig", wie Wappler in einer ZDF-Dokumentation erzählt. Ihm selbst, so gibt er zu Protokoll, bleibe dieser Titel leider verwehrt, weil man dazu unbescholten sein müsse, was er nun wirklich nicht sei. Um dennoch Eindruck zu schinden, besorgte er sich irgendwann einen Titel und nannte sich Ernst-August-Mike Baron von Wappler. Viel früher noch, mit 17, war er kurz Zuhälter, hatte großes Talent als Boxer. Später spekulierte er an der Börse und verkaufte Villen und Diamanten, die ihm nicht gehörten. Lesen und schreiben kann Wappler bis heute kaum. "Er unterhält sich fünf Minuten mit dir, dann bist du nackt und merkst es nicht einmal", sagte ein Wegbegleiter im ZDF über die Kunst des 65-Jährigen, Menschen zu manipulieren.
Reue kennt "Milliarden-Mike" nur vom Hörensagen, er besteht darauf, immer nur anderen Betrügern das Geld aus der Tasche gezogen zu haben. "Ich bin ein Geschichtenerzähler und die Menschen fallen aus reiner Gier darauf rein", sagte er einmal. Er sei ein halber Robin Hood: Er nimmt es den Reichen, ohne es den Armen zu geben. Sondern eben sich selbst. Wie so viele Leute, die er behumst hat, wurde er kaum je von einem seiner Opfer angezeigt. Auch die Geschäftsmänner, die er zuletzt ausgenommen hatte, sind nicht zur Polizei gegangen. "Wenn ich sagen würde, es tut mir leid, würde ich lügen", sagte er vor der Urteilsverkündung im gewohnten Sound der Mitleidlosigkeit .
Geht Rentner Mike Wappler irgendwann in Rente?
Wie gesagt, für rund dreieinhalb Jahre muss Wappler nun wieder in den Knast. Die Anklage hatte eigentlich bis zu vier Jahre und neun Monate gefordert, das tatsächliche Strafmaß liegt ungefähr in dem Bereich, den seine Verteidigung wollte. Entsprechend zufrieden ist sein Anwalt, keine Seite geht in Berufung. Wann "Milliarden-Mike", immerhin schon im Rentenalter, wieder rauskommt, ist unklar, mit einer vorzeitigen Entlassung aber rechnet angesichts seiner Vergangenheit niemand. Vermutlich wird er aber nicht zum letzten Mal Schlagzeilen gemacht haben.