Zwischen zusammengebrochenen Mauern sitzt die 13-jährige Charika auf einem Betonbrocken. Sie hat ihn vorher sorgfältig abgewischt, ihr weißer Rock darf nicht dreckig werden. Schließlich besitzt sie als einzige in Klasse neun noch eine Uniform. Alle anderen hocken in bunt zusammengewürfelten Kleidern in der prallen Sonne. Denn die Schüler aus dem Dorf Hagalle haben kein Dach mehr über dem Kopf. "Nur ein paar wackelige Stühle und eine Schiefertafel hat der Tsunami uns gelassen", sagt Lehrerin Priyanthi de Zoysa.
Überall in Sri Lanka sollen die Kinder wieder zur Schule gehen. Doch an der Küste sind viele Gebäude so zerstört, dass Kinder oft nur zu einem provisorischen Unterricht in der Nachbarschaft geschickt werden können. Im Landesinneren ist die Lage nicht besser: Dutzende von Schulen sind noch von Flüchtlingen belegt. Hilfsorganisationen rechnen damit, dass die Obdachlosen Monate bleiben.
Neues Fach auf dem Stundenplan: Trauern
Am ersten Schultag steht ein neues Fach auf dem Stundenplan: Trauern. Überall füllen Lehrer Tabellen aus, bevor sie anfangen zu unterrichten. Sie listen auf: tote Schüler, vermisste Schüler, obdachlose Schüler, Schüler ohne Eltern. Auch in Hagalle steht hinter vielen Namen ein Fragezeichen. "Von unseren 1500 Schülern sind nur knapp dreihundert erschienen", klagt Mönch Kosgoda Mahinda Thero. "Mehr als die Hälfte von ihnen ist obdachlos. Aber sie leben wenigstens noch. Die Vermissten sind hoffentlich bei Verwandten oder in einem Camp." Die Katastrophe hat den Mönch zum Schulleiter gemacht. Die Rektorin arbeitete am Tag des Seebebens an einem neuen Stundenplan. Die Welle brach über ihr Büro herein. Nach Tagen der Ungewissheit fanden Bauern ihre Leiche.
Überall wird improvisiert. Ein wenig verloren zwischen den Neuntklässlern sitzen Kinder, die erst vergangenes Jahr eingeschult wurden. "Es sind wenige Schüler hier, aber wir haben trotzdem nicht genügend Räume. Darum mischen wir jetzt alle Altersgruppen", sagt die 34-jährige Zoysa. Geregelter Unterricht ist nicht möglich. "Am Anfang habe ich zwar versucht, für alle eine passende Aufgabe zu finden". Aber die Kinder können sich nicht konzentrieren. Sie sind immer noch sehr durcheinander und wollen erzählen, was sie erlebt haben."
Als Erster in der Klasse berichtet Sampath, 13, wie er am Meer entlang radelte und plötzlich staunte. "Da war gar kein Wasser mehr, die Fische schnappten nach Luft." Eigentlich hätte er die gern eingesammelt und nach Hause gebracht. Doch dann überlegte er es sich anders. Das rettete ihm das Leben: "Ich bin so schnell wie ich konnte auf den Hügel mit dem Tempel gefahren, das Wasser kam immer näher".
Schüchtern hebt sich eine weitere Hand. "Plötzlich war da so ein komisches Rauschen. Und es kam immer näher", erinnert sich Chandrika, 13. Sie war allein zu Hause und spielte mit ihren Puppen, als plötzlich Wasser über die Türschwelle schoss. "Ich wusste erst gar nicht, was ich tun soll. Doch dann haben draußen die Leute laut um Hilfe gerufen. Da bin ich weggerannt, so schnell ich konnte." Die Puppen hat das Meer mitgenommen, wie alles andere im Haus. Die Schuluniform fanden sie später in einem Baum. Doch die Familie lebt.
"Es wäre schön, wenn wir morgen etwas malen würden"
Später singen die Schüler. Kinderlieder, die können sie auswendig. Bücher gibt es ja keine mehr. "Es wäre schön, wenn wir morgen etwas malen würden", sagt Priyanthi de Zoysa. Geht leider auch nicht. Ein Schulheft kostet 18 Rupien, ein Stift zwölf Rupien. Umgerechnet dreizehn beziehungsweise neun Cent. Zu viel Geld für eine obdachlose Familie.
"Die Schule soll für die Kinder ein neues Zuhause sein", sagt die Lehrerin. "Sie haben viel verloren und brauchen jetzt eine geschützte Umgebung. Da ist es erst einmal nicht so wichtig, den Satz des Pythagoras zu begreifen." Mathe-Formeln kann die Lehrerin ohnehin nicht mehr an die Tafel schreiben: Sie hat gerade ihr letztes Stück Kreide aufgebraucht.