Um es gleich vorweg deutlich zu sagen: Ich betrauere jedes Todesopfer der aktuellen Hochwasser in Bayern und Baden-Württemberg. Ich fühle mit jedem Hausbesitzer und jeder Hausbesitzerin, die Hab und Gut in den Fluten verloren haben. Ich bewundere alle Helfer, die sich den Wassermassen, oft vergeblich, entgegenstellen und zu retten versuchen, was manchmal nicht mehr zu retten ist.
Aber: Diese Katastrophe war eine mit Ansage. Eine, bei der viel Leid und Kosten hätten verhindert werden können.
Das Wetterphänomen war bekannt
Eine sogenannte Vb-Wetterlage, wie sie derzeit herrscht, gibt es nicht erst seit diesem Jahr. Sie ist ein Wetterphänomen, das Meteorologen schon lange gut kennen und bereits die Ursache für das Elbehochwasser im Jahr 2002 war.
Das Fatale an dieser Wetterlage: Über dem Mittelmeer saugt sich die Atmosphäre mit Wasser voll, die Wolken winden sich mit einem Tiefdruckgebiet um die Ostseite der Alpen in Richtung Norden und regnen dort tagelang ohne Unterlass ab. Klimaforscher warnen seit Jahrzehnten, dass solche Starkregenereignisse immer häufiger drohen. Zusätzlich verschlimmert wird die Lage dadurch, dass sich die Meere in den vergangenen Jahren immer stärker erwärmt haben. Sie geben immer mehr Feuchtigkeit an die Atmosphäre ab, diese Luft wiederum nimmt pro Grad Erwärmung sieben Prozent mehr Feuchtigkeit auf, die anderswo abregnen muss.
Bei anderen Überschwemmungen in den vergangenen Jahren – etwa im Ahrtal, in Niedersachen Anfang diesen Jahres und vor kurzem im Saarland – waren zwar andere Wetterlagen im Spiel, sie alle aber haben eines gemein: Die Regengebiete kommen nicht von der Stelle, die Wolken schütten ihre Nässe immer weiter auf denselben Landstrich. Und ja, daran haben wir alle unseren Anteil. Während sich bis vor wenigen Jahrzehnten Hoch- und Tiefdruckgebiete, von Westen kommend, regelmäßig abwechselten, bleiben sie heute oft für Tage oder Woche stecken. Ursache dafür sind die Jetstreams, Windströme in rund zehn Kilometern Höhe. Da es besonders an den Polen immer schneller wärmer wird, fehlt den Windsystemen der Antrieb für diese Höhenströmung, an der sich Hoch- und Tiefdruckgebiete von Ost nach West hangeln.
Aufweichen der Klimaschutzziele
Nur: Statt den CO2-Ausstoß, der den Jetstream schwächt, zu reduzieren, brechen wir weltweit immer neue Rekorde. Die Richtung der Klimareise ist vorgezeichnet. Was ist die Antwort der Bundesregierung? Ein Aufweichen der Klimaschutzziele. Um die selbst gesteckten Vorgaben Deutschlands zu erreichen, muss nicht mehr jeder Sektor sein vorgegebenes CO2-Reduktions-Soll erfüllen. Ein Freibrief vor allem für den Mobilitätssektor, dessen konsequent üppiger Treibhausgasausstoß nun mit anderen Sektoren verrechnet wird.
Klimaanpassung wird verschlafen
Nicht alle Politiker verschließen vor den Herausforderungen des Klimawandels die Augen. Es kursieren durchaus Pläne zur sogenannten Klimaanpassung. Die umfassen unter anderem die Erhöhung von Deichen, die Renaturierung von Flüssen (um mehr Wasser aufnehmen zu können) und den Umbau von Städten. Doch woran es im föderalen Deutschland wieder einmal mangelt, ist die Umsetzung dieser Pläne. So existieren zwar in fast allen Bundesländern Absichtserklärungen, was getan werden müsste, um Überschwemmungen (und anderen Folgen der Klimaveränderung wie zunehmende Hitzeperioden) zu trotzen. Aber nur in Nordrhein-Westfalen gibt es seit 2021 ein Klimaanpassungsgesetz, das alle öffentlichen Entscheidungsträger dazu verpflichtet, die Folgen der Erderwärmung bei Planungen zu berücksichtigen. Anderswo wird Klimaschutz im Konjunktiv betrieben. Oft wissen die Beteiligten nicht mal, in welchen Zustand die bestehenden Schutzeinrichtungen sind. Zum Beispiel in Niedersachsen.
Dort sind etwa die Hälfe der 1200 Kilometer langen Hochwasserschutzanlagen keine DIN-genormten Deiche, sondern sogenannte Verwallungen, für die es keine offiziellen Vorgaben gibt. In welchem Zustand sich diese befinden, vermag keiner so genau zu sagen. Und damit auch nicht, wie widerstandfähig sie im Notfall wären. Angesichts klammer kommunaler Finanzen müssen sich Gemeinden entscheiden, wieviel sie bereit sind, in den Hochwasserschutz zu investieren – oder ob sie doch lieber einen neuen Kindergarten bauen. Hier braucht es klare Masterpläne auf Länderebene, die auch finanziell ausreichend subventioniert sind.
Unwillige Grundstücksbesitzer
Selbst dort, wo konkrete Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung vor Überschwemmungen umgesetzt werden, bleiben diese oft im Wortsinn lückenhaft. Beispielhaft dafür steht aktuell die Gemeinde Baar-Ebenhausen bei Ingolstadt in Bayern. Dort hat es die Stadt zwar geschafft, innerhalb von Jahrzehnten eine Schutzmauer für Häuser zum Fluss Paar hin zu errichten – doch nun kam das Wasser über die Straße und flutete die Gebäude. Schuld daran sind schier endlose Planungs- und Genehmigungsverfahren und unwillige Grundstücksbesitzer. Viele wollen der Stadt keine Flächen für den Bau einer kompletten Hochwassermauer abtreten, sie prozessieren und blockieren die notwendigem Umbauten.
Aber auch die Städte und Gemeinden selbst haben versäumt, sich in ausreichendem Maße an die veränderten Wetterverhältnisse anzupassen. In Bayern und andernorts wird derzeit heftig darüber gestritten, ob geplante Polderflächen entlang der großen Flüsse notwendig sind, zum Teil mit dem Argument, dass sie in diesen Fall ohnehin nicht geholfen hätten.
Eine Diskussion, die zu nichts führt, denn es gibt nun mal keine Regel, wo genau die Wassermassen das nächste Mal abregnen werden. Es braucht für alle Orte Pläne, um sich auf mögliche Starkregenereignisse vorzubereiten. Für die viel propagierten Schwammstädte reicht es auch nicht, große Bassins – etwa in Berlin – zu bauen, um überschüssiges Wasser aufzunehmen. Vielmehr darf es bei Neubauten keine so starke Versieglung geben wie bisher. Denn mit jedem Parkplatz vor dem Bau- oder Supermarkt und mit jedem zubetonierten Gewerbegebiet geht Versickerungsfläche verloren. Hier braucht es klare Vorgaben, damit die Böden mehr Wasser aufnehmen können.
Leichtsinnige Bauherren
Es gibt Karten, die ausweisen, welche Zonen entlang von oft harmlos erscheinenden Flüsschen hochwassergefährdet sind. Sie zeigen, welche Flächen statistisch gesehen alle 100 oder 200 Jahre von Hochwasser betroffen sind. Doch diese Karten sind vielfach längst Makulatur. Sogenannte Jahrhundertereignisse treten längst häufiger auf. Die älteren Bewohner einer Gemeinde wissen oft genau, wo es früher Überschwemmungen gegeben hat, und die jüngeren Neubürger sollten bei ihnen nachfragen, bevor sie einen Spaten in den Boden rammen. Selbst in gewässernahen Hochrisikogebieten, etwa am Oberrhein, darf weiter gebaut werden – und wird weiter gebaut, weil dort der Baugrund günstiger ist als auf flussfernen Flächen.
Unwillige Versicherungen
Nach jedem Hochwasserereignis der jüngsten Zeit wird über die Einführung einer bundesweiten Pflichtversicherung für Elementarschäden diskutiert, wie es sie bis vor ein paar Jahren in Baden-Württemberg gab. Doch für die Versicherer ist das nicht lukrativ. Die meisten haben Fachabteilungen für Klimafolgenschabschätzung und wissen genau um die große Wahrscheinlichkeit, dass sie in absehbarer Zeit für hohe Schäden aufkommen müssten. Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft argumentiert dagegen, dass sich schon heute fast jeder Hausbesitzer gegen Hochwasserschäden versichern könne. In Süddeutschland – wie auch sonst im Land – haben das aber längst nicht alle getan. Und wie bei vorangegangenen Flutwellen werden auch diesmal der Bund und die Länder wieder den Nichtversicherten Unterstützung in Milliardenhöhe zusagen. Solidarischer wäre es, vergleichbar der KFZ-Versicherung, alle Immobilienbesitzer zu einem solchen Selbstschutz zu verpflichten, der je nach Risiko des Standortes gestaffelt wäre.
Immerhin scheint es diesmal gelungen zu sein, die Bevölkerung rechtzeitig vor der großen Gefahr zu warnen und dadurch, anders als im Ahrtal, noch mehr Tote zu verhindern. Dass es trotzdem zu einzelnen Todesfällen gekommen ist, bleibt tragisch. Letzterdings kann man nur hoffen, dass die Bundesbürger die aktuelle Katastrophe nicht so schnell wieder vergessen wie vorherige – und endlich auf allen Ebenen das Bestmögliche tun, um ähnlichen Notfälle vor ihrer eigenen oder anderer Leute Haustür vorzubeugen.