Der Große Wagen leuchtet. Daneben prunken Andromeda und Fuhrmann, funkeln Schwan und Leier, Pegasus und Cassiopeia. Überall strahlen Lichter im Dunkel der Nacht. Und mitten im Meer der Sterne schimmert ein glitzerndes Band, schöner als jedes Diadem: die Milchstraße.
Zwischen den Geheimnissen des Firmaments fliegt staubkorngroß ein Raumschiff namens Erde durch die Weiten des Alls. Mit Winzlingen an Bord, getrieben von unstillbarer Neugier und irrwitzigem Größenwahn. Sie versuchen das Unmögliche: die Tiefen des Universums zu ergründen; herauszufinden, was Milliarden von Billionen Kilometer entfernt von ihnen passiert. Seit jeher wollen sie wissen: Wie groß ist die Welt, in der sie leben? Wie ist der Kosmos gebaut? Wie ist er entstanden? Und welche Rolle spielen darin sie, die Augenblicksereignisse im All? Das Werkzeug für das Unternehmen der Erdlinge ist dürftig: gerade einmal drei Pfund graue Denkmasse pro Crewmitglied und ein Arsenal von Lausch- und Spähgeräten, die sie ersonnen haben. Doch erstaunlicherweise gelingt damit Fantastisches, erhält die Globus-Besatzung Einsichten in Geschehnisse weit hinter der Himmelskulisse.
So lieferte jüngst das Hubble-Weltraumteleskop, das in 600 Kilometer Höhe die Erde umkreist, einen einmaligen Blick in die Tiefe des Kosmos. Seine Kameras schossen Aufnahmen von mehr als 100 Sternenhaufen, die sich "nur" 400 bis 800 Millionen Jahre nach dem Urknall, den die Astrophysiker als Beginn des Universums ansehen, gebildet haben. Diese Sterne waren offenbar die ersten Objekte, die den einst dunklen Kosmos erleuchteten. "So weit haben wir noch nie in die Vergangenheit geblickt", schwärmt Rodger Thompson von der University of Arizona.
Als vor kurzem ein internationales Wissenschaftler-Team mit dem Isaac-Newton-Teleskop auf der Kanarischen Insel La Palma den Himmel observierte, konnten die Experten beobachten, dass der 2,5 Millionen Lichtjahre entfernte Andromedanebel so stark an seiner Nachbargalaxie NGC 205 zerrt, dass er dort bereits zahlreiche Sterne herausgerissen hat. Mit dem Teleskop war ein regelrechter Strom von Flammenkugeln auszumachen, der sich in Richtung Andromedanebel zieht.
und jetzt entdeckten Forscher vom amerikanischen Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics, die mit einem Mega-Fernrohr das Sternbild Zentaur ins Visier nahmen, die Endphase eines Sternenlebens: Aschereste des verglühten Brennmaterials. Der Kohlenstoff im Inneren der Himmelsleiche war kristallisiert und zu einem 4000 Kilometer dicken Diamanten erstarrt - nie zuvor ist ein größerer Weißer Zwerg aufgespürt worden. Als Edelstein driftet die ausgebrannte Sonne durchs All.
Mit den Erkenntnissen, die Astrophysiker seit einigen Jahrzehnten gewinnen, gelingt es ihnen inzwischen, sich ein Bild zu machen: vom Bau des Universums, dessen Entstehung und dessen zukünftigem Schicksal. Grandios ist dieser Kosmos und voller Dramatik, überwältigend und rätselhaft. Mit menschlichem Verstand kaum noch zu begreifen. Alle Sterne, so wissen die Himmelsforscher, sind Sonnen, ähnlich der unseren. Monströse, leuchtende Gaskugeln, in denen Wasserstoff zu Helium fusioniert und Strahlungsenergie frei wird. Es gibt die nuklearen Glutbälle in verschiedenen Größen - sie können nur Bruchteile, aber auch weit über das Hundertfache unserer Sonnenmasse besitzen.
Die Entfernungen zwischen den kosmischen Kernreaktoren sind so riesig, dass Forscher sie in Lichtjahren messen. Ein Lichtjahr ist die Distanz, die Licht in einem Jahr zurücklegt: 9,46 Billionen Kilometer. Der Abstand zwischen unserer Sonne und dem nächsten Stern, Proxima Centauri, beträgt 4,3 Lichtjahre. Und das ist nur ein Katzensprung verglichen mit den Strecken zu anderen Sonnen. Zu Antares etwa sind es 500 Lichtjahre. Und das Leuchten, das heute vom Polarstern die Erde erreicht, wurde abgestrahlt, als man in Europa gerade das Schwarzpulver erfunden hatte - vor 680 Jahren. Mit anderen Worten: Je tiefer Astrophysiker in das Weltall blicken, desto länger her ist das, was sie da entdecken.
Weisst du, wie viel Sternlein stehen? Nein. Die Frage des Kinderliedes, das vor fast 200 Jahren der thüringische Dichter Johann Wilhelm Hey reimte, kann bis heute kein Astronom beantworten. Bis zu 6000 Lichtquellen sind bei klarer Nacht mit bloßem Auge zu erkennen, doch das ist nur ein Tropfen im Ozean. 100 Milliarden Glutbälle gibt es allein in der Milchstraße - der Sternenclique, zu der auch unsere Sonne mit ihrem Planetensystem gehört. Sie hat die Form einer gigantischen Spirale, 15000 Lichtjahre dick und 100000 Lichtjahre im Durchmesser. Zwischen ihren Leuchtfeuern ist der Raum fast leer - nur ein paar wenige Atome Wasserstoff und Helium pro Kubikzentimeter bilden die interstellare Materie.
Wie eine überdimensionale fliegende Untertasse treibt die Milchstraße durchs All. Dabei dreht sich das Sternenrad um ein Zentrum. Unser Sonnensystem sitzt auf einem der äußeren Spiralarme und braucht 230 Millionen Jahre, um die Mitte zu umkreisen - etwa 20 Runden hat es seit seiner Entstehung geschafft.
Die Milchstraße wiederum ist nur eine aus einer Vielzahl von Galaxien, zu denen sich alle Sterne des Weltraums arrangiert haben. Unsere Nachbargalaxien sind die Große Magellansche Wolke, etwa 150000 Lichtjahre entfernt und die Kleine Magellansche Wolke mit einem Abstand von 200 000 Lichtjahren. Sie bestehen aus 15 be-ziehungsweise fünf Milliarden Sternen. Dann folgt der Andromedanebel, mit bloßem Auge gerade noch als kleiner blasser Fleck im Sternbild Andromeda erkennbar. Er ist ein System von mehreren hundert Milliarden Sonnen.
Galaxien gibt es in verschiedensten Größen und Formen - in den Teleskopen zeigen sich neben den Spiralen auch Z-förmige, elliptische oder linsenförmige Gebilde. Wie viele das Universum insgesamt beherbergt, ist unbekannt. Milliarden wurden bislang entdeckt, und dauernd kommen neue hinzu. Längst sind die Namen für die Sternenschwärme ausgegangen; Astronomen nummerieren sie wie Waren in einem Katalog.
Die meisten werden durch die Schwerkraft in Gruppen oder Haufen zusammengehalten. So gehört die Milchstraße mit dem Andromedanebel, den beiden Magellanschen Wolken und zwei Dutzend weiteren kleinen Galaxien zur "Lokalen Gruppe". Einige andere Zusammenballungen bestehen aus vielen hundert Galaxien. All die Gruppen wiederum formen noch größere Gebilde, die Astronomen "Superhaufen" nennen. Und diese schließen sich, wenn man das Universum in ganz großem Maßstab betrachtet, zu wabenartigen Anordnungen zusammen, zu einem monströsen Schwamm: große leere Blasen, jeweils um die 150 Millionen Lichtjahre dick, umhüllt von Wänden und Fäden, die aus Superhaufen bestehen.
Diese Struktur des Universums ist keineswegs starr, sondern wird bestimmt von einer ungeheuren Dynamik. Die Galaxien, so haben Astronomen gemessen, fliegen - abgesehen von lokalen Schwerkrafteffekten - mit großer Geschwindigkeit immer weiter auseinander, wie die Trümmer nach einer Sprengung. Die Forscher schließen daraus auf den Beginn des Universums. Ihre Theorie: Mit einer unvorstellbaren Detonation, dem Urknall, fing alles an. Vor etwa 13,5 Milliarden Jahren. Zuvor gab es nur Strahlung und eine bis heute nicht identifizierte Urmaterie - bei unvorstellbar hoher Temperatur und großer Dichte konzentriert in einem winzigen Punkt. Dann explodierte die Blase. Raum und Zeit entstanden.
Bruchteile von Sekunden nach dem "Big Bang" sank die Temperatur, und langsam bildeten sich die ersten Elementarteilchen. Materie und Antimaterie. Aus unbekannten Gründen bekam die Materie ein Übergewicht über die Antimaterie, sonst hätte sich alles wieder gegenseitig vernichtet. Nach fast einer Minute hatte das Universum bereits einen Durchmesser von vielen Millionen Kilometern. Ein paar Minuten später entstanden die ersten Atomkerne, dann die ersten Elemente: Wasserstoff und Helium.
Es vergingen viele Millionen Jahre, bis sich dort, wo die Dichte dieser Gase ein wenig größer war als anderswo, Wolken formierten. Die Schwerkraft verklumpte die Materie. In den anschwellenden Brocken wurde es aufgrund des Druckes so heiß, dass Wasserstoffatome zu Helium-atomen verschmolzen - das war die Geburtsstunde der Sterne.
Jede Galaxie ist eine Mixtur von Sonnen verschiedensten Alters; Astronomen können deren unterschiedliche Lebensphasen am Himmel nebeneinander bestaunen und studieren. Je nach Größe entwickeln sich die Glutbälle unterschiedlich. Wenn beispielsweise Sterne mit der Masse unserer Sonne nach Milliarden von Jahren fast allen Wasserstoff zu Helium verbrannt haben, blähen sie sich zu hundertfacher Größe. Rote Riesen nennen Astrophysiker diese Oldies. Milliarden Jahre später blasen die Weltraummonster ihre äußeren Schichten ins All. Dann klingen alle Kernreaktionen ab. Zurück bleibt ein glimmender, relativ kleiner Kern, etwa so groß wie unsere Erde - ein Weißer Zwerg. Seine Materie hat eine unvorstellbar hohe Dichte, ein Fingerhut davon wiegt Tonnen. Im Laufe von weiteren Millionen Jahren kühlt er ab und wird zum Schwarzen Zwerg.
Sehr massereiche Sterne enden auf andere Art. Sie verbrauchen ihren Wasserstoff schneller als kleinere Exemplare, schon nach Jahrmillionen schrumpft ihr Inneres und heizt sich dabei stark auf. "Dann brennt das Helium und verwandelt sich in Kohlenstoff", sagt der Göttinger Astrophysiker Professor Rudolf Kippenhahn, "bald gehen die Kohlenstoffatome in höhere Atomkerne über." In einem Supernova-Feuerwerk schleudert der sterbende Riese die äußere Schale fort. "Dabei stößt der Stern den größten Teil seiner Materie wieder in den Raum zurück, und auch bei dieser Explosion wird Kohlenstoff in höhere Elemente umgewandelt." Rohmaterial für neue Glutbälle - sowie für unser Planetensystem. Die Erde, ihre Lebewesen und ebenso der Mensch bestehen aus Materie, die einst Sonnen erzeugten. Sternenstaub sind wir alle.
Vor 13,5 Milliarden Jahren – so die Theorie der Astrophysiker – entstanden mit dem Urknall Raum und Zeit. Explosionsartig dehnte sich der Kosmos aus. Zunächst war alles nur Urmaterie und Strahlung und extrem heiß. Dann bildeten sich die ersten Elementarteilchen. Antimaterie und Materie vernichteten sich gegenseitig immer wieder, bis aus unbekannten Gründen die Materie ein Übergewicht über die Antimaterie bekam. Nun formierten sich Protonen, Neutronen und Elektronen, drei Minuten nach dem Urknall die ersten einfachen Atomkerne, nach 300 000 Jahren der Grundbaustoff des Universums: Wasserstoff- und Heliumatome. Langsam kühlte das Universum ab. Nach etwa einer Million Jahren begannen sich die Gaswolken in zahlreichen Raumgebieten zu verdichten, mehrere hundert Millionen Jahre später entwickelten sich dort die ersten Sterne und Galaxien. Schließlich, etwa neun Milliarden Jahre nach dem "Big Bang", entstand am Rande einer Galaxie namens Milchstraße unser Sonnensystem
Zu guter Letzt stürzen die Reste eines solch massigen Sterns in sich zusammen. "Das hält an, bis in extrem hohen Dichten die Kernbausteine so eng aneinander rücken, dass sich alle Protonen und Elektronen zu Neutronen vereinen", sagt Kippenhahn. Übrig bleibt ein Neutronenstern, ein Objekt, das dermaßen kompakt ist, dass ein einziger Löffel davon auf Erden Milliarden Tonnen wiegen würde.
Manche dieser Sonnenleichen ballen sich, so die Vorstellungen der Astrophysiker, sogar zu noch höherer Dichte - zu jenen Gebilden, die "unter allen Schöpfungen des menschlichen Geistes wohl die fantastischsten sind", meint US-Physiker Kip Thorne vom California Institute of Technology - zu Schwarzen Löchern. Ihre enorme Anziehungskraft erfasst alles, was ihnen zu nahe kommt und verschlingt es. Sogar Licht. Das Universum ist durchsetzt mit diesen Monstern. "Die Zahl der Schwarzen Löcher", vermutet der Cambridger Astrophysiker Stephen Hawking, "kann sogar größer sein als die der sichtbaren Sterne."
Offensichtlich sorgen Schwarze Löcher für die Energie der hellsten aller Objekte im All - der Quasare. Tausende davon haben Astrophysiker in den Tiefen des Raumes bislang ausgemacht. Es sind aktive Kerne weit entfernter Galaxien, die mit großer Geschwindigkeit davontreiben und oft eine billionenfach stärkere Leuchtkraft als unsere Sonne haben. Vermutlich hausen dort kosmische Vielfraße, die immense Materiemengen und sogar ganze Sternenhaufen verschlingen und mit deren Energie die Höllenglut schüren.
"Auch in den Zentren wohl fast aller Galaxien sitzen Schwarze Löcher", sagt Professor Reinhard Genzel vom Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik in Garching bei München. Er und seine Arbeitsgruppe haben einen dieser kosmischen Kannibalen in der Mitte unserer Milchstraße nachweisen können - allerdings handelt es sich da um einen relativ kleinen Vertreter seiner Art. "Ein Objekt mit 2,5 Millionen Sonnenmassen", sagt Genzel. Er hat den maximalen Appetit des Materiefressers berechnet - und der hält sich in Grenzen. In 1000 Jahren schluckt er höchstens so viel Masse aus der Milchstraße wie unsere Sonne hat.
Zwar haben wissenschaftler eine Menge über die Entwicklung einzelner Mitglieder von Galaxien herausbekommen, doch wie die Dynamik der ganzen Ensembles funktioniert und warum sie überhaupt entstanden, ist noch weitgehend unbekannt - und derzeit ein Schwerpunkt astrophysikalischer Forschung. Einschließlich der Frage, was passiert, wenn ganze Sonnencliquen kollidieren. So nähert sich der Andromedanebel immer mehr der Milchstraße, der Crash ist unvermeidbar. "In etwa fünf Milliarden Jahren werden diese beiden großen Scheibengalaxien zusammentreffen", sagt Martin Rees, Professor für Astronomie im englischen Cambridge. Eine kosmische Katastrophe wird es dennoch kaum geben - zu groß sind die Abstände zwischen den einzelnen Himmelsfeuern. "Vermutlich wird einfach nur ein amorpher Sternenhaufen übrig bleiben", glaubt der Brite.
Aber was wird aus dem eines Tages werden? Nach einer langen Zeit des Zweifelns über die Zukunft des Alls steht für die Astrophysiker aufgrund neuer Messergebnisse inzwischen fest: Der Kosmos wird niemals enden, die Expansion des Alls schreitet weiter und weiter fort. Sie beschleunigt sich sogar noch. Bleiben in diesem ewigen Universum die Sternenpopulationen für alle Zeiten stabil? Halten sich Todes- und Geburtenraten der Sonnen im Gleichgewicht? Für eine bestimmte Zeit, so vermuten Himmelskundler, werden aus der Materie gestorbener Sterne stets neue geboren. Allerdings ist nur das recycelbar, was beim Sonnentod ins All zurückgeschleudert wird. Deshalb wird dem Universum irgendwann das Schöpfungsmaterial ausgehen. In etwa 100000 Milliarden Jahren, so die neuesten Schätzungen, werden die letzten Sonnen und alle Galaxien verglüht sein. Durchs ausgedünnte All vagabundieren dann nur noch deren Kadaver.
Vom Urknall bis zur kosmischen Ödnis - tausend und manche Nacht haben Generationen von Astrophysikern vor den großen Teleskopen der Erde gehockt, um dem Himmel seine Geheimnisse zu entreißen. Hunderte von Satelliten, voll gepropft mit Computern und Messgeräten, wurden ins All geschossen und nicht enden wollende Datenströme ausgewertet. Viele Erkenntnisse sind heute gesichert, manches ist lediglich Hypothese und hat Bestand bis zum Beweis des Gegenteils.
Trotz aller Sternstunden sind große Rätsel geblieben. So muss ein kosmischer Kitt existieren, der mit seiner Gravita- tion das Auseinanderfliegen der Galaxien bremst und die Sterne beisammenhält. Die Masse der sichtbaren Sonnen jedenfalls reicht dazu nicht aus. Fieberhaft wird geforscht, woraus diese Dunkle Materie bestehen könnte, von der bislang nirgends auch nur eine Spur gesichtet wurde. Vielleicht aus bis heute unbekannten, exotischen Elementarteilchen, die in Schwärmen große Teile des Raumes füllen? Aber eben nur vielleicht.
Darüber hinaus muss es die noch rätselhaftere Dunkle Energie geben. Eine Macht, die die Ausdehnung des Alls seit dem Urknall antreibt und beschleunigt. Bislang hat kein Wissenschaftler auch nur eine Ahnung, was das sein könnte. "Sie ist ein Knochen, der uns quer im Hals liegt", sagt Steven Weinberg, US-Nobelpreisträger für Physik von der University of Texas in Austin. Und sein Münchner Max-Planck-Kollege Genzel prophezeit: "Dieses Problem und seine Lösung wird die gesamte Physik zum Beben bringen. Es herrscht eine Stimmung wie kurz vor der Entdeckung der Quantentheorie. Wahrscheinlich muss die Physik noch mal entscheidend umgekrempelt werden."
Zu den großen verbleibenden naturwissenschaftlichen Herausforderungen kommen die philosophischen. So mögen sich viele Wissenschaftler mit der derzeitigen Vorstellung vom Urknall nicht anfreunden. Überstrapaziert die Big-Bang-Theorie doch jegliche Vorstellungskraft. Vor allem ist so schwer begreifbar, dass mit der großen Detonation vor 13,5 Milliarden Jahren Raum und Zeit überhaupt erst entstanden sein sollen - aus dem Nichts. Was aber war dann vorher? Und was war außerhalb der Blase? So dürfe man gar nicht denken, sagen die Verfechter der Hypothese. Zu fragen, "was vor dem Urknall war", sagt Stephen Hawking, "ist, als fragte man nach einem Punkt einen Kilometer nördlich des Nordpols."
Doch mit solchen Antworten wollen sich nicht alle Forscher zufrieden geben. So protestierten Mitte des Jahres 33 Astrophysiker im US-Wissenschaftsmagazin "New Scientist" mit einem offenen Brief. "Wer den Urknall anzweifelt, muss um seine Forschungsgelder fürchten", heißt es da. Die Theorie habe sich nicht aufgrund überzeugender Beobachtungen wegen durchgesetzt, sondern vor allem, weil sich die Befürworter gegenseitig Fördermittel zuschanzten. Ein besseres Modell von der Geburt unseres Kosmos ist jedoch nicht in Sicht. Auch die Kritiker können keines bieten.
Einige Forscher entwickeln ganz andere Überlegungen, kühnste Hypothesen. Vielleicht, so mutmaßen sie, war der Urknall ja gar kein Einzelfall. Möglicherweise gibt es dann neben unserem Kosmos noch andere, parallele Welten. "Die Gesamtheit, das Multiversum, könnte Universen umfassen, die von jeweils anderen Gesetzen und Grundkräften bestimmt wer-den", spekuliert der Brite Martin Rees. "In einigen von ihnen könnte der Raum selbst auch eine andere Anzahl von Dimensionen haben." Darüber hinaus wären möglicherweise mehrere dieser Kosmos-Ableger "für eine Evolution geeignet".
Andere Universen mit anderen Lebewesen? Nichts als Gedankenspiele. Die Besatzung des Raumschiffs Erde wird es nie erfahren.