Elisabeth Kübler-Ross wusste vermutlich mehr über den Tod als irgendein anderer Mensch: Das Standardwerk "On Death and Dying" (deutsch: "Interviews mit Sterbenden") aus dem Jahr 1969, für das sie mit mehr als 200 Sterbenden sprach, hat sie als Wissenschaftlerin mit Mut und Mitleid ausgewiesen und dafür gesorgt, dass Todkranke in den Hospitälern der USA und darüber hinaus nicht mehr in Badezimmer oder Flure geschoben werden, bis es vorüber ist. Die gebürtige Schweizerin, die fast ein halbes Jahrhundert in den USA lebte, widmete den größten Teil ihres Lebens der emotionalen Betreuung von Sterbenden.
Sie glaubte, dass es eigentlich gar keinen Tod gibt
Eine ganze Reihe weiterer Bücher der Autorin, die am Dienstagabend in ihrem Haus in Scottsdale (US-Bundesstaat Arizona) 78-jährig starb, vertiefte das Thema. Sie selbst hatte in ihren letzten Jahren nach mehreren Schlaganfällen ihren Tod herbeigesehnt. In der Abgeschiedenheit der Wüste von Arizona lebte sie einsam und oft unter großen Schmerzen. Angst vor dem Tod hatte die Psychiaterin auch im Alter nicht: "Sterben - das ist, als würde man bald in die Ferien fahren. Ich freue mich schon unheimlich", sagte sie einmal. Sie war überzeugt, dass sie "auf der anderen Seite" alle Menschen wiedertreffen würde, die sie geliebt hatte.
Auf ihre Initiative hin wurden in den USA die ersten so genannten "Hospices" eingerichtet, in denen Sterbenskranke bis zu ihrem Tod liebevoll gepflegt werden. Auch das in Washington gegründete "Childrens Hospital International" für todkranke Kinder geht auf ihr Engagement zurück. Ihre rund zwanzig Bücher wurden in zwanzig Sprachen übersetzt und erschienen in millionenfacher Auflage.
Eigentlich vertrat sie - verachtet von den meisten Fachkollegen, aber gläubig verehrt von ihren Bewunderern - die These, dass es überhaupt keinen Tod gibt. "On Life After Death" (Über den Tod und das Leben danach, 1984) hieß eines ihrer Spätwerke. "Meine wirkliche Aufgabe ist, und deshalb brauche ich Ihre Hilfe", wendete sie sich darin direkt an die Leser, "den Menschen zu sagen, dass der Tod nicht existiert".
Zunehmende Skepsis gegenüber ihren Überzeugungen
"Sie zerstört aktiv das Werk, das sie aufgebaut hat und das voraussichtlich auch lange nach diesem Zerstörungsversuch existieren wird", sagte der Psychiater Samuel Klagsbrun. Die "New York Times" äußerte bei Ross-Berichten über Begegnungen mit Toten Verblüffung: "Es ist, als ob man den Fernseher andreht und (den TV-Prediger) Billy Graham sagen hört, dass es keinen Gott gibt."
Mit zunehmender Skepsis war "Dr. Ross", wie sie in den USA allgemein genannt wurde, schon vorher betrachtet worden. Die Ärztin, die 1957 an der Universität Zürich promovierte, hatte ihre grundlegenden Arbeiten über Sterbende in den 60er Jahren an der Universität Chicago erbracht. Nachdem sie mit ihrem ersten Buch rasch berühmt geworden war, verstieg sie sich immer weiter in spirituelle Erfahrungen und Berichte darüber.
Die "Königin des Todes", wie die Zeitungen sie mit einer Mischung aus Respekt und Ironie nannten, sprach offen von den "Geistern", die über ihren Lebensweg wachten. 1980 gab sie ihnen in der Öffentlichkeit Namen. Mario, Anka, Salem und Willie sagten ihr bis in alle Einzelheiten, was sie tun solle. Dazu gehörte auch die Wahl ihrer Zigarettenmarke. Das hielt Universitäten nicht davon ab, ihr weiter Ehrendoktorhüte und andere Auszeichnungen zu verleihen: Das, was sie getan hatte, blieb weiter ungeheuer wichtig.
Sie glaubt fest an "Instant-Erleuchtungen"
Sie aber war überzeugt, dass sie - und andere Menschen, wenn sie es nur wollen - mystische Erfahrungen sozusagen auf Bestellung haben können. Solche "Instant-Erleuchtungen" waren es, die zahlreiche gehetzte Großstadtbürger anzogen und Kübler-Ross in deren Augen zur Heldin, zum Idol machen. Ärzte klagten, dass sie bei Gesprächen mit Sterbenden immer wieder mit den Vorstellungen konfrontiert wurden, die Dr. Ross in die Köpfe gepflanzt hatte. Für ihre Gegner hatte sie nichts übrig: "Diese Leute verweigern sich dem Spirituellen. Aber das ist deren Problem."
In einem ihrer letzten Fernsehinterviews, das sie dem Sender 3sat 1998 gab, bedauerte sie rückblickend einen Aspekt ihres Lebens: "In der Schweiz wurde ich nach dem Grundsatz erzogen: arbeiten, arbeiten, arbeiten. Du bist nur ein wertvoller Mensch, wenn Du arbeitest. Dies ist grundfalsch. Halb arbeiten, halb tanzen. Das ist die richtige Mischung! Ich selbst habe zu wenig getanzt und zu wenig gespielt."
Helmut Räther, DPA