Sie ist eine heiße Geliebte. Sie erregt und entspannt - gleichzeitig. Sie bringt das zentrale Nervensystem auf Touren, und das macht wach. Sie verringert sogar Angst. Darum bleiben viele ihr treu, in guten wie in schlechten Zeiten, bis ins Grab.
Natürlich wäre es gut aufzuhören. Fast 20 Millionen Menschen im Land schmachten täglich nach dem nächsten Zug an der Zigarette, und fast alle täten es doch lieber nicht: Mehr als 80 Prozent der Raucher lebten gern qualmfrei. Zwei Drittel von ihnen haben schon mal erfolglos versucht aufzuhören. Ihre Sucht war zu stark.
Chronik
Wie sich nach der letzten Zigarette der Körper erholt.
Nach 20 Minuten
Blutdruck und Herzschlagfrequenz sind auf die Werte eines Nichtrauchers gesunken; die Temperatur von Händen und Füßen ist auf Normalwert gestiegen.
Nach zwei Stunden
Es ist kein Nikotin mehr in Ihrem Körper.
Nach acht Stunden
Das Kohlenmonoxid hat Ihre Blutbahnen verlassen. Es hatte die Sauerstoffbindung im Blut behindert. Ihr Raucheratem ist weg.
Nach 24 Stunden
Ihr Risiko für einen plötzlichen Herztod ist gesunken.
Nach 48 Stunden
Ihr Geruchs- und Geschmackssinn haben sich verfeinert. Nach drei Tagen Sie atmen merklich besser. Es gelangt mehr Sauerstoff ins Blut, weil die Lunge besser durchblutet wird.
Nach zwei Wochen
Die stärksten Entzugserscheinungen sind überwunden.
Nach einem Monat
Ihr Immunsystem kann Infektionen besser bekämpfen.
Nach drei Monaten
Die Möglichkeit Ihrer Lunge, Sauerstoff aufzunehmen, ist um 30 Prozent gestiegen. Die Blutzirkulation hat sich verbessert.
Nach neun Monaten
Der rauchertypische Hustenreiz ist verschwunden, weil die Flimmerhärchen in den Lungen, die Fremdstoffe entfernen, nachgewachsen sind. Die chronische Reizung der Nasennebenhöhlen ist abgeklungen.
Nach einem Jahr
Das Risiko einer Erkrankung der Herzkranzgefäße hat sich halbiert.
Nach zwei Jahren
Ihr Herzinfarkt- und Ihr Lungenkrebsrisiko haben deutlich abgenommen.
Nach fünf Jahren
Ihr Schlaganfallrisiko entspricht dem eines lebenslangen Nichtrauchers.
Nach zehn Jahren
Die Gefahr, dass Sie an Lungenkrebs sterben, hat sich halbiert.
Nach 15 Jahren
Das Risiko, an einem Herzinfarkt zu sterben, ist fast so niedrig, als hätten Sie nie geraucht.
Der biochemische Effekt von Nikotin ist ein zäher Feind. Mit jeder Zigarette erhält der Körper etwa ein Milligramm des Nervengifts. Über die Blutbahn gelangt es ins Gehirn. Dort dockt es an nikotinspezifische Rezeptoren an, die jeder Mensch hat, egal, ob er schon einmal geraucht hat oder nicht. Die Nervenzellen schütten daraufhin Botenstoffe aus, beispielsweise Dopamin. Es aktiviert das Belohnungssystem im Hirn und bewirkt einen Glückszustand, vergleichbar dem Gefühl, geküsst zu werden. Auch Noradrenalin und Acetylcholin werden freigesetzt. Sie steigern Gedächtnisfunktion und -leistung. Acetylcholin setzt zudem Darm und Magen in Bewegung, einer der Gründe dafür, dass Raucher pro Tag 200 bis 250 Kalorien mehr verbrennen als Nichtraucher.
Garant für die Sucht
Als wären diese Effekte nicht verführerisch genug, stellt der Körper eines Rauchers mit der Zeit mehr nikotinspezifische Rezeptoren bereit, die dann wiederum, wie Wissenschaftler vermuten, bei den nächsten Lungenzügen mehr Dopamin ausschütten - was wäre ein besserer Garant für Sucht? Um von ihr loszukommen, braucht man ausreichend Motivation - und zusätzlich die richtige Methode, da Abhängigkeit verschiedene Ausprägungen hat.
Jeder Süchtige raucht aus verschiedenen Gründen und in verschiedenen Situationen, sei es, um Unsicherheiten im Umgang mit Fremden zu überspielen, um sich abends zu entspannen oder um im Beziehungsstreit ruhig zu bleiben. Hinzu kommt, dass jeder Raucher unterschiedlich schwer abhängig ist. Und dass nicht jeder mit jeder Entzugsmethode zurechtkommt. Wer keine Psychologen mag und sein Suchtverhalten vor allem als körperliches Phänomen versteht, dem wird eine Verhaltenstherapie kaum helfen.
"Diese Unterschiedlichkeiten haben wir in der Vergangenheit bei der Behandlung unserer Patienten sträflich vernachlässigt", sagt Hans-Ulrich Wittchen, Professor an der Technischen Universität Dresden, Psychologe und Experte auf dem Gebiet der Tabakentwöhnung.
Nur Willenskraft reicht selten
Stimmt die "Passung", ist also die Methode auf Wesen und persönliche Bedürfnisse des Rauchers abgestimmt, schafft langfristig immerhin fast ein Drittel aller Aufhörwilligen den Ausstieg. Das heißt, sie sind länger als ein Jahr lang Nichtraucher. Die Erfolgsquote einer beliebig ausgewählten Methode liegt hingegen gerade mal bei fünf bis acht Prozent. Ganz ohne Hilfsmittel, also nur mit Willenskraft, halten nicht mehr als zwei bis fünf Prozent den Rauchstopp durch.
Über die Vor- und Nachteile der einzelnen Entwöhnungsmethoden ist inzwischen vieles bekannt. Gut erforscht ist die Nikotinersatztherapie. Hierbei bekommt der Körper den Suchtstoff für eine Weile statt aus Zigaretten über Pflaster oder Kaugummis. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt sie jedem, der mehr als zehn Zigaretten pro Tag brauchte.
Ein zweiter Weg, mit Arznei vom Nikotin loszukommen, ist die Pille Zyban. Hans-Ulrich Wittchen hält sie für eine weitere wichtige Therapieform, insbesondere für Raucher, die medikamentöse Behandlungen vorziehen, die befürchten zuzunehmen oder die unter Depressionen leiden.
Unangenehme Begleiterscheinungen
Zyban, eigentlich ein Antidepressivum, kann allerdings unangenehme Begleiterscheinungen haben wie Ängste oder Krampfanfälle. Außerdem wurde die Pille im Jahr 2002 international mit einigen Todesfällen in Zusammenhang gebracht. Das Mittel ist weiter am Markt. Die Sprecherin der Herstellerfirma Glaxo-Smith-Kline Ruth Kern begründet das so: "Man hat das Medikament neu überprüft. Die Europäische Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln (EMEA) kam nach einer ausführlichen Analyse im August 2002 zu dem Ergebnis, dass die Nutzen-Risiko-Bewertung von Zyban weiterhin als positiv zu bewerten ist." Für Bruno Müller-Oerlinghausen, den Vorstandsvorsitzenden der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft, ist Zyban allerdings "immer als Mittel der zweiten Wahl" zu betrachten. "Es soll nur da eingesetzt werden, wo man mit der etablierten Nikotinersatztherapie nicht zurechtkommt."
Ganz ohne arzneimittelähnliche Stoffe kann die Verhaltenstherapie vom Rauchen abbringen. Sie hilft besonders denen, die situationsbezogen qualmen, etwa im Job, um kreativ zu sein, oder abends zur Entspannung vor dem Fernseher.
Über den Kopf will auch die mit dem Buch "Endlich Nichtraucher!" bekannt gewordene "Easyway"-Methode vom Rauchen abbringen. Ziel des Autors Allen Carr ist es, Mythen um den blauen Dunst durch neue Denkmuster zu ersetzen.
Wirkung zweifelhaft
Ebenfalls beliebt sind Akupunktur und Hypnose. Britische Forscher, die für das internationale Wissenschaftsnetz Cochrane Collaboration alle auffindbaren Studien gesichtet haben, kamen zu dem Schluss, dass die Nadelbehandlung keinen nachweisbaren Effekt hat. Über die Hypnosetherapie gibt es für ein vergleichbar klares Urteil erst zu wenige Studien.
Mittlerweile versuchen Psychologen ein weiteres Phänomen für den Tabakentzug zu nutzen: die Rückfälle, von denen ein Raucher durchschnittlich zwei bis vier erlebt, bis er es schafft. "Der Rückfall ist ein integraler Bestandteil des Ausstiegs und eine Chance", sagt Irmgard Vogt, Leiterin des Instituts für Suchtforschung an der Fachhochschule Frankfurt am Main. Wichtig sei, Lehren aus dem neuerlichen Griff zum Glimmstängel zu ziehen, sich zu fragen: Welche Situationen werden mir gefährlich, und was kann ich gegen sie tun? "Schlimm ist, den Rückfall nur negativ zu verarbeiten, nach dem Motto: Das schaffe ich nie. Ich bin zu schwach."
Der Ausstieg aus einer Sucht habe nämlich nicht ausschließlich mit Willensstärke zu tun, so Vogt. "Was zum Willen hinzukommen muss, sind die günstige Gelegenheit, die guten Umstände und die Freundlichkeit der Umwelt." Also unterstützende Helfer. Das können Freunde und Verwandte sein, aber auch ein beratender Arzt oder ein Psychologe. Dass die Abbrecher- und Rückfallquote so hoch ist, mag auch daran liegen, dass viele Fragen von der Forschung noch nicht beantwortet werden können. So ist unbekannt, warum Entwöhnungsmaßnahmen bei Frauen deutlich schlechter funktionieren als bei Männern und weshalb ein Entzug bei so genannten Hochrisikorauchern mit Atemwegserkrankungen wie chronischer Bronchitism oder Asthma besonders schlechte Erfolgsaussichen hat.
Hinzu kommt, dass vorhandenes Wissen nur schleppend weitergegeben wird. Die wenigsten Mediziner sind in Fragen des Nikotinentzugs geschult. Für Hausärzte ist es wenig verlockend, willigen Aussteigern Zeit zu widmen. Denn die Kassen zahlen ihnen Beratungs- und Behandlungsleistungen beim Tabakentzug bislang nur in Ausnahmefällen.