World Press Photo Award Sexuelle Diskriminierung im All – das unrühmliche Kapitel der Nasa

Kollage: Originalbild der sieben Astronauten des Mercury-Projekts kombiniert mit queeren Menschen des Projekts Out Astronaut
Kollage: Originalbild der sieben Astronauten des Mercury-Projekts kombiniert mit queeren Menschen des Projekts Out Astronaut, einer privat finanzierten Organisation, die Interessierten eine zweijährige Grundausbildung zum Astronauten ermöglicht 
© Mackenzie Calle
Jahrzehnte lang schloss die Nasa queere Menschen von ihren Programmen aus. Die Fotografin Mackenzie Calle setzt ihnen mit ihrem prämierten Projekt "The Gay Space Agency" nun ein Denkmal. 

In der Schule interessierte sie sich besonders für Mathematik und Raumfahrt. Später studierte die Amerikanerin Mackenzie Calle dann Fotografie und arbeitet heute als Fotoreporterin. Zufällig stieß sie von einiger Zeit auf einen Zeitungsartikel über die Astrophysikerin Sally Ride. Sie war 1983 die erste US-Amerikanerin, die mit einem Spaceshuttle in den Weltraum flog. Erst nach ihrem Tod im Jahr 2012 wurde bekannt, dass sie 27 Jahre mit einer Frau, der Kinderbuchautorin Tam O'Shaughnessy, zusammengelebt hatte. "Komischerweise war das gar kein großer Aufreger in den Medien", sagt Calle im Gespräch mit dem stern

Porträt der Astronautin Sally Ride
Aus dem Fotoprojekt "The Gay Space Agency" der US-Fotografin Mackenzie Calle: 1983 flog Sally Ride als erste Amerikanerin ins All. Erst nach ihrem Tod wurde bekannt, dass sie 27 Jahre mit einer Frau zusammengelebt hatte
© Mackenzie Calle

Die in New York lebende Fotografin wollte mehr darüber erfahren und begann zu recherchieren: "Ich bin selbst queer und beschäftige mich mit dem Thema sexuelle Orientierung vor allem im historischen Kontext. Dabei entdeckte sie zu ihrer Überraschung, welche große Rolle das Thema in der Raumfahrt über Jahrzehnt gespielt hatte. Die ersten sieben Astronauten des Mercury-Projekts Ende der 1950er-Jahre waren allesamt erfahrene Kampfpiloten und heterosexuelle Männer. 

Kollage: Häuser und Familien der Nasa-Astronauten
Kollage: Die Häuser und Familien der Nasa-Astronauten entsprachen dem typischen Bild der amerikanischen Muster-Familie. Eingeblendet ein der Auswahlfragen des psychologischen Tests
© Mackenzie Calle

Hunderte von psychologischen Fragen

"Bis 1973 war es schwulen Männern verboten, in einer Bundesbehörde zu arbeiten", sagt Calle. Also tat auch die Nasa alles dafür, um ausschließlich heterosexuell orientierte Männer ins All zu schicken. "Sie hatte eine ganz bestimmte Vision davon, wer Astronaut werden sollte: Sie entsprach dem damals herrschenden Bild traditionellen amerikanischen Mannes, der für seine Familie sorgt." Stark, aber nicht zu machohaft, so die Vorstellung.

Fotokollage mit dem Deckblatt einer Studie im Auftrag des US-Senats
Fotokollage mit dem Deckblatt einer Studie im Auftrag des US-Senats zu "homosexuellen und anderen perversen Personen im US-Staatsdienstes"  
© Mackenzie Calle

"Die Kandidaten mussten sich zahlreichen psychologischen Tests unterziehen", sagt Calle. Dazu gehörte unter anderem der berühmte Rorschach-Text. Dabei sollten die Männer auf abstrakten Tintenklacks-Bildern weibliche Körperformen erkennen. Daneben mussten die angehenden Astronauten hunderte von psychologischen Fragen beantworten. Grundlage dafür war der vom Psychologie-Professor Allen Edwards entwickelte Edwards Personal Preference Schedule (EPPS). Er umfasste je 15 Fragen aus 15 Themenkomplexen, für die es jeweils zwei alternative Antwortmöglichkeiten gab. Ein Fragenbereich betraf die sexuelle Orientierung: Die Männer mussten dort laut Calle etwa angeben, ob sie andersgeschlechtliche Menschen lieben und küssen würden.

Tintenklecks eines Roschach-Tests
In den Tintenklecksen eines Rorschach-Tests sollten die Astronauten-Kandidaten weibliche Körperformen erkennen, als Beleg für ihre heterosexuelle Orientierung
© Mackenzie Calle

Mackenzie Calle hat beim World Press Photo Award gewonnen 

Nicht nur Männer wurden so auf ihre "Unbedenklichkeit" hin überprüft. Auch Sally Ride wäre wohl niemals ins All aufgebrochen, hätte die Nasa von ihrer Liebe zu einer Frau erfahren. Von 1982 bis 1987 war Sally Ride mit dem Astronauten Steven Hawley verheiratet. Die Ehe endete praktisch zeitgleich mit ihrer Laufbahn bei der Weltraumorganisation.

Foto-kollage
Die 43 Quadrate auf diesem Startbild des Space Shuttles, mit dem Sally Ride 1983 flog, symbolisieren den Anteil queerer Menschen in der amerikanischen Bevölkerung
© Mackenzie Calle

Die sexuelle Diskriminierung der Nasa hat die Fotografin Mackenzie Calle zu einem besonderen Fotoprojekt inspiriert. Ausgangspunkt war die Frage: Was wäre, wenn es neben der Nasa auch eine queere Raumfahrtorganisation gegeben hätte oder heute geben würde? Unter dem Titel "The Gay Space Agency" kombinierte sie historische Aufnahmen mit Fragen oder Abbildungen aus den psychologischen Tests oder ersetzte tatsächliche Astronauten durch queere Aspirantinnen und Aspiranten, die sich für Raumfahrt interessieren. Mit diesem Projekt wurde sie eine der 24 Gewinnerinnen und Gewinner des World Press Photo Awards 2024. 


Was ist der World Press Photo Contest? World Press Photo ist eine gemeinnützige Organisation aus den Niederlanden, die professionelle Pressefotografen und -fotografinnen unterstützt. Seit 1955 werden beim World Press Photo Award die besten Arbeiten des vergangenen Jahres ausgezeichnet. Bei der diesjährigen 67. Ausgabe standen insgesamt 61.062 Beiträge (Standbilder und Multimedia) von 3851 Fotografen aus 130 Ländern zur Auswahl. Die Themen reichen von Kriegsszenen über Umweltprobleme bis zu Momenten aus dem Alltag.

Welche Kategorien gibt es? Die vier Kategorien sind: Photo des Jahres, Story des Jahres, Long Term Project und Open Format. Nachdem die regionalen Jurys ihre Auswahl getroffen hatten, entscheidet die globale Jury über die 24 regionalen Gewinner und von diesen wiederum über die vier globalen Gewinner.

Wer sitzt in der Jury? Es gibt insgesamt sechs regionale Jurys und eine globale Jury. Die regionalen Jurys kommen aus Afrika, Asien, Australien/Ozeanien, Europa, Nordamerika und Südamerika. Sie setzen sich aus fünf Fachleuten der Fotografie- und Journalismusbranche aus den jeweiligen Regionen zusammen. In der Europa-Jury waren es dieses Jahr zum Beispiel zwei Fotografinnen aus England, eine Fotografin aus Russland, der Fotochef der "NZZ" aus der Schweiz und der Fotochef des stern als Vertreter für Deutschland. Die regionalen Jurys schlagen der globalen Jury je eine Shortlist für verschiedene Kategorien vor.

Was gibt es zu gewinnen? Die Gewinner erhalten ein Preisgeld von je 1000 Euro. Die Gewinner, die lobenden Erwähnungen und die besonderen Erwähnungen der Jury werden in die weltweite Foto-Jahresausstellung und das Jahrbuch aufgenommen, sie werden auf der World-Press-Photo-Website veröffentlicht und zum "Winners' Program" in Amsterdam eingeladen. Zusätzlich zu ihren regionalen Preisen erhalten die globalen Gewinner einen Geldpreis in Höhe von 5000 Euro, eine FUJIFILM-GFX100-II-Kamera mit Zubehör und einen zusätzlichen Sachpreis. In diesem Jahr hat die Jury die außergewöhnliche Entscheidung getroffen, zusätzlich zwei besondere lobende Erwähnungen im Zusammenhang mit dem Krieg zwischen Israel und der Hamas aufzunehmen.

Wo sind die Bilder zu sehen? Die preisgekrönten Fotografien werden in einer Wanderausstellung in mehr als 80 Städten auf der ganzen Welt gezeigt. Die Magazine GEO und stern präsentieren die Ausstellung seit über 25 Jahren in Deutschland. Im September dieses Jahres werden sie im Altonaer Museum zu sehen sein.

Calle freut sich über die Aufmerksamkeit für ihr Anliegen, gleichwohl sieht sie noch viel Handlungsbedarf. "Bis heute hat sich die Nasa nicht mit dieser diskriminierenden Praxis über Jahrzehnte auseinandergesetzt. Es gab auch keinerlei Entschuldigung gegenüber den Betroffenen", bedauert Calle. Heute gibt es bei der Raumfahrtorganisation zwar keine Tests zur sexuellen Orientierung mehr. Dennoch outen sich in der Weltraumbranche nur die wenigsten, die sich als Teil der LGBTQ-Gemeinschaft identifizieren, wie eine Studie unter Nasa-Astronauten aus dem Jahr 2022 zeigte. "Wie Sally Ride fürchten sie Nachteile für ihre Karriere oder gar von irgendwelchen Programmen ausgeschlossen zu werden", sagt Calle. Dabei sollte doch nur eines darüber entscheiden, ob jemand in einem (Raumfahrt-) Projekt arbeitet: ob er oder sie dafür qualifiziert ist und brennt.

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