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Ausgestorbene Theorien Die Erde als furzender Schweizer Käse

Erdbeben haben die Menschen schon immer in Angst und Schrecken versetzt. Mittlerweile weiß man, dass sie durch die aneinanderkrachende Erdplatten entstehen. Das war nicht immer so - in früheren Zeiten hatte man weitaus fantasievollere Vorstellungen.
Von Marcus Anhäuser

Das Grauen verliert einen Teil seines Schreckens, wenn man seine Ursache kennt. Wenn heute irgendwo auf der Welt die Erde wackelt - wie zuletzt selbst in Großbritannien - weiß man, was der Auslöser ist: Erdplatten, die sich verhaken und irgendwann die Spannung in einem gewaltigen Rums entlassen. Vor 400 Jahren sah das noch ganz anders aus.

Seneca stellte sich die Erde wie einen Schweizer Käse vor

Als am 8. September 1692 in London die Erde spürbar erzitterte, schlug dieses Ereignis auch in der Londoner Presse große Wellen: "Erst Jahre danach hatte sich die Berichterstattung normalisiert", sagt Frances Willmoth vom Jesus College im englischen Cambridge, der alte Theorien über die Entstehung von Erdbeben in dieser Zeit in einem Artikel im Magazin für Wissenschaftsgeschichte "Endeavour" beschreibt. Die Presse überschlug sich mit sensationsheischenden Berichten und moralischen Reflexionen. Ihren Lesern eine wissenschaftliche Erklärung für Erdbeben liefern? Fehlanzeige. In einer Zeit, als die Erfolgsgeschichte der Wissenschaft gerade erst begann, sah sich kaum eine der Gazetten dazu veranlasst.

Die damaligen Vorstellungen, was unsere Erde im Innersten zusammenhält, unterschieden sich fundamental von denen, die wir heute haben. Bin ins 17. Jahrhundert hinein hielten sich die Ideen der alten Griechen und Römer. Vor allem die Beschreibung des römischen Philosophen, Staatsmanns und Naturforschers Seneca prägte das Bild der Menschen (wenn sie es nicht ohnehin als göttlichen Akt betrachteten, der keiner weiteren Erklärung bedurfte): Die Erde, das war nach Senecas Vorstellung ein riesiger Schweizer Käse. Durch und durch löchrig, von unterirdischen Hohlräumen und Passagen durchzogen. Erdbeben, so glaubte Seneca, entstünden durch gewaltige Luftbewegungen oder das Vermischen von Luft und Wasser in.

Erdbeben waren für Aristoteles geophysikalische Pupse

"Die meisten englischen Naturphilosophen glaubten auch noch 1600 Jahre später, dass die Erde von Kavernen und Gängen durchzogen war", sagt Frances Willmoth. Ein Schweizer Käse, der die Hölle beherbergte: Durch die Kavernen wanderten Wasser, Luft und andere Substanzen. In manchen Räumen loderten Feuer. Und immer wieder entwischten Dämpfe in die Atmosphäre. Der Blick auf "Mutter Erde" war dabei ein sehr menschlicher. Schon Aristoteles verglich das Innere der Erde mit menschlichen Eingeweiden und die Ausdünstungen mit den Winden, die sich in uns aufstauen und entfleuchen. Und wie es auf ihrem Weg nach draußen gerne rumpelt und pumpelt , so ergeht es auch der Erdoberfläche. Erdbeben, das waren für Aristoteles quasi geophysikalische Pupse.

Dass Vulkane dabei auch eine Rolle spielen könnten, darauf kam man dann erst im 17. Jahrhundert. Jeder, der als junger Mann auf seiner obligatorischen Studienreise nach Italien den Ätna besuchte, fand eindrückliche Belege dafür an den Eingängen ins Erdinnere. Nicht zuletzt diese Erlebnisse führten zu der allgemein akzeptierten Annahme, dass Feuer und Explosionen tief im Inneren der Vulkane durch die unterirdischen Gänge und Kavernen des Erdballs bis an die Oberfläche hallten, oft im Gleichklang mit einem Vulkanausbruch.

Hooke glaubte, die Erde "eiere"

Dass es auch Erdbeben geben konnte, wo es keine Vulkane gab, dafür hatte der Astronom der britischen Royal Society John Flamsteed eine Erklärung. Seiner Meinung nach erzitterte die Erde, weil Dämpfe aus dem Erdinneren strömten und mit dem Salpeter und dem Schwefel der Luft wie Schießpulver explodierte. Die Idee, dass herabstürzende Berggipfel in der Steiermark den Boden so sehr erschüttern lassen könnten, dass selbst in London die Menschen das mitbekamen, verwarf er relativ schnell wieder.

Eine eher ganzheitliche Sicht hatte der englische Physiker und Mathematiker Robert Hooke. Er war der Überzeugung, dass die Erde keine perfekte Kugel war und daher kam es immer wieder zu plötzlichen Verschiebung der Rotationsachse. Das Eiern der Erde verformte die Oberfläche und löste die Beben aus.

Als dann Mitte der 18. Jahrhunderts die Elektrizität entdeckt wurde, glaubten einige darin die wirkliche Quelle für die Erderschütterungen entdeckt zu haben. Der Mediziner und Antiquariat William Stukeley war überzeugt, dass Erdbeben ein dramatisches Beispiel elektrischer Aktivität sei, das Ergebnis elektrischer Schocks, die plötzlich aus der Luft in den elektrisierten Boden zischten. Die Quelle der Elektrizität konnte er indes nicht benennen. Dafür musste dann wieder mal, wie so oft in damaligen Zeiten, der liebe Gott herhalten.

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