Als Hans Ruedi Gigers Gehirn die filigrane Gestalt des Science-Fiction-Monsters "Alien" entsprang, ist es nicht unwahrscheinlich, dass eine Gottesanbeterin die Vorlage für das unheimliche Wesen aus dem All lieferte. Dieselbe gekrümmte Haltung, aus der sie wie ein Pfeil aus einem gespannten Bogen herausschnellt, dieselben angewinkelten Arme, die in Zehntelsekunden den Tod bringen, dieselben ruhigen Bewegungen, die sie jedoch jederzeit zur unerbittlichen Jagdmaschine werden lassen.
Kopfloser Sex
Gottesanbeterinnen sind Fangheuschrecken. Der Name ist Programm: fang Heuschrecken. Wer einmal eine Gottesanbeterin dabei beobachtet hat, wie sie mit ihren dornenbewehrten Fangarmen innerhalb einer Fünfzigstelsekunde eine Heuschrecke enthauptet, um dann genüsslich an ihrem vor Lymphe triefendem Rumpf zu knabbern, wird froh sein, dass diese Tiere nur maximal 16 Zentimeter lang werden - zumindest die südamerikanischen Vertreter. Europäische Gottesanbeterinnen bringen es nur auf maximal acht Zentimeter Körperlänge. Nicht nur Heuschrecken stehen auf dem Speiseplan der eigentlich mit Termiten und Schaben verwandten grazilen Killerinnen, sondern auch Spinnen, Skorpione und sogar kleinere Wirbeltiere.
Noch eine andere Eigenart hat den (weiblichen) Gottesanbeterinnen den Ruf des skrupellosen Vamps unter den Insekten eingetragen: Sie sehen sogar die Männchen der eigenen Art als potenzielle Nahrungsquelle an. So ist der Geschlechtsakt für die Männchen zugleich auch meist der letzte, denn während der Paarung werden sie vom Weibchen bei lebendigem Leibe verspeist. Und zwar vom Kopf her, denn den braucht das Männchen dafür nicht - die Nervenzellen zur Steuerung der Begattung liegen im Hinterleib.
Wespen attackieren Gottesanbeterinnen
Gottesanbeterinnen haben auch Feinde - nicht nur in höheren Tierarten wie Vögeln, Eidechsen und Fledermäusen, sondern auch unter den Insekten: Ameisen machen sich gerne über die Junglarven der Gottesanbeterinnen her. Und wie die Fotografen Monika und Richard Fellinger in Kroatien erstmals beobachten konnten, werden Gottesanbeterinnen zuweilen auch von Wespen attackiert. Dabei gelang es den Fotografen die Wespen dabei abzulichten, wie sie den Gottesanbeterinnen gezielt die Fühler abbissen - ohne die sie - trotz der hochentwickelten Augen - überraschend hilflos waren. Denn nach dieser Attacke konnten die Wespen an den Gottesanbeterinnen relativ gefahrlos Mundraub begehen und ihnen ihre kostbare Beute stibitzen.
Jens Lubbadeh