Immer wieder verkünden Abenteurer, Historiker oder Archäologen, die letzte Ruhestätte des legendären Eroberers und Begründers eines der größten Weltreiche nun endlich zu gefunden haben. Im vergangenen Jahr schien das Traumziel wieder einmal angeblich erreicht: In den Weiten der Bergsteppen des Khentiigebirges, im Stammland der Mongolen und Chinggisiden, wurden 60 imposante Grabanlagen freigelegt. Doch wessen Überreste die Grabstätten beherbergen, soll sich erst noch zeigen.
Jagd nach den Grabbeigaben
»Grab von Dschingis Khan entdeckt?«, titelten Zeitungen und Magazine, konnten aber auch diesmal nicht das Fragezeichen loswerden. War der Mongolenherrscher schon zu Lebzeiten eine Legende, ranken sich um seinen Tod zahlreiche poetische und auch grausame Geschichten. Nichts hat schon seine Zeitgenossen und nachfolgende Generationen so interessiert wie sein Grab, in dem unermesslich reiche Beigaben vermutet werden.
Sämtliche Zeugen mussten sterben
Gestorben ist der bekannteste Mongole aller Zeiten in Nordchina, im heißen August des Jahres 1227. Einbalsamierungstechniken kannten die Mongolen nicht. Auch müssen seine Getreuen das Prunkgefährt mit seinem Leichnam unbeschadet über mehrere tausend Kilometer bis ins Khenttigebirge im Nordosten der Mongolei gebracht haben. Doch war schon seine Beisetzung ein Geheimnis. Da in den dauernden, grausam geführten Steppenkriegen um Weideland und Vieh die Schändung der Herrschergräber zur Kriegstaktik gehörte, wurden Begräbnisstätten der zentralasiatischen Nomadenherrscher geheim gehalten. Sämtliche Zeugen der Begräbnisfeierlichkeiten, ja selbst Tiere, die das Pech hatten, dem Leichenzug zu begegnen oder in der Nähe zu sein, mussten sterben.
Provinz Khentii neuester Tip
So begann die Grabsuche bereits unmittelbar nach der Beisetzung. Nicht weniger als 120 nationale und internationale Expeditionen hofften im 20. Jahrhundert auf den Sensationsfund. Der Leipziger Professor Johannes Schubert grub im Khentii. Chinesen, Russen und Kasachen meldeten die Entdeckung des Grabes jeweils auf ihren Territorien. Nach 1990 rückten die Japaner mit modernster Lasertechnik an. Alles ohne Erfolg. Seit zwei Jahren arbeitet eine mongolisch-amerikanische Expedition zur Erforschung der Geschichte Zentralasiens und des mongolischen Weltreiches im Batshireet-Distrikt in der Provinz Khentii.
Bisher nur Gerüchte
Bei Ausgrabungsarbeiten entlang der »Mauer der Mildtätigkeit«, im Volksmund »Pferdepfosten des Dschingis« genannt, stießen die Forscher in 11 Metern Tiefe schließlich auf 60 Gräber, was im August 2001 die Hoffnungen auslöste, jetzt endlich am Ziel zu sein. Fest steht bislang nur, dass es sich um Gräber von Fürsten und anderen einflussreichen Personen der Steppenaristokratie handelt. Baataryn Chadraa, Präsident der Mongolischen Akademie der Wissenschaften, wehrt Fragen nach dem Grab des Dschingis Khan unwirsch ab: »Gerüchte, nichts als Gerüchte.«
Wetter verhindert Grabungen
Unter den mongolischen Wissenschaftlern herrscht Uneinigkeit über die Zuordnung der Funde. Die einen vertreten die Auffassung, es handele sich um Gräber aus der Kitan-Zeit (10.-12. Jahrhundert). Andere, dazu gehört Professor Dorjiin Bazargur vom Geographischen Institut der Akademie der Wissenschaften, führen gute Gründe an, warum die Vorstellung, das Grab des Staatsgründers entdeckt zu haben, nicht so abwegig sei: Die Grabanlagen befänden sich in der Nähe der Plätze, die eng mit dem Aufstieg von Dschingis Khan zum »Herrscher über alle in Filzzelten Lebenden« verbunden seien. Zur Zeit sind alle Ausgrabungsstätten in der Mongolei wegen des kalten Wetters noch geschlossen. Die Steppe wird ihre Geheimnisse zumindest bis zum Sommerbeginn im Juni bewahren.
Renate Bormann