Eurovision Song Contest Das Phänomen Lena Meyer-Landrut

Jetzt ist sie auch in Norwegen ein Star: Wie die 19-jährige Lena Meyer-Landrut in einer Woche ein Land erobert hat - und nun auch ganz Europa.

Während andere Teilnehmer des Eurovision Song Contests um Aufmerksamkeit buhlen, fliegen Lena Meyer-Landrut die Sympathien zu. Seit ihrer Ankunft beim Eurovision Song Contest in Oslo am vergangenen Freitag hat sie nicht nur elf Bühnenproben, mehrere Auftritte im Fernsehen, einen Hubschrauberflug, einen Empfang mit dem deutschen Botschafter und eine Segeltour durch den Oslofjord absolviert, sondern auch unzählige Interviews mit Journalisten aus aller Welt geführt. Lena Meyer-Landrut ist der Star des Eurovision Song Contests. "Alle fragen, und alle wollen was", sagt die 19-Jährige über den Trubel. Dabei ist sie alles andere als das, was man als mediengeil bezeichnen könnte.

Auch in Oslo will sie nichts von ihrem Privatleben preis geben. Fragen nach ihrer Familie sind tabu, werden auf Pressekonferenzen mit einem laut seufzenden "Niet" quittiert. Und auch in der Menge von jubelnden Fans zu baden, ist nicht Lenas Sache. Während andere Grand-Prix-Teilnehmer geduldig Autogramme geben und sich hundertfach mit Fans fotografieren lassen, zieht sich Lena lieber zurück. "Die wird besser abgeschirmt als der Papst", sagte ein Fan bei einer Auftaktveranstaltung im Osloer Rathaus dazu.

"Besser abgeschirmt als der Papst"

Und trotzdem: Jeder kennt die quirlige Teilnehmerin aus Deutschland. Jeder liebt sie. Deutsche Fans werden in Oslo schon vorm Finale mit Glückwunschbekundungen überhäuft: "Das ist der beste deutsche Song seit Dschingis Khan", sagt ein Grieche, der sich im Shuttle-Bus zu den Proben in der Telenor-Arena mit anderen Eurovisions-Fans unterhält. Ein Norweger ist sich sicher, dass die zwölf Punkte aus seinem Land in diesem Jahr nach Deutschland gehen werden. Und auf den Eurovisionspartys wird lauthals zu "Satellite" mitgegrölt und getanzt. Was Lena hat und den anderen fehlt, wird bei einem gemeinsamen Auftritt mit dem norwegischen Teilnehmer Didrik Solli-Tangen deutlich.

Einige halten den 22-Jährigen für einen Favoriten. Vor einem Auftritt vor Journalisten am Dienstag in Oslo, bei dem er seinen Song "My Heart Is Yours" präsentierte, bereitet er sich akribisch vor. Obwohl Solli-Tangen ausgebildeter Opernsänger ist, macht er eine Tonprobe. Seine Schritte auf der kleinen Bühne studiert er ebenso sorgfältig ein, wie er sich vorher genau überlegt hat, was er anziehen soll: einen roten Anzug mit der norwegischen Flagge. Nichts soll dem Zufall überlassen bleiben. Ganz anders bei Lena, die kurz nach Didrik bei der gleichen Veranstaltung auftritt.

Alles wirkt spontan und natürlich bei Lena

Sie probt nicht, verpasst sogar ihren Einsatz. Als der Moderator sie ankündigt, sitzt sie noch da und isst. Einzig über ihre Garderobe scheint sie sich Gedanken gemacht zu haben - sie trägt eine Norweger-Mütze. Ansonsten wirkt alles so, als käme es einfach aus ihr heraus: Die Tanzschritte, ihre Stimme, was sie im Interview mit dem Moderator sagt. Nichts wirkt einstudiert, alles scheint spontan. Und selbst wenn einmal etwas nicht klappt, als plötzlich während ihres Auftritts laute Störgeräusche über die Lautsprecher hallen, bringt sie das nicht aus der Fassung. Sie verzieht in unnachahmlicher Lena-Manier kurz das Gesicht und singt weiter. Nach ihrem Auftritt kommt Solli-Tangen zu ihr und drückt ihr einen MP3-Player in die Hand. "Das ist mein deutscher Lieblingssong", sagt er zu ihr. "Wollen wir den im Duett singen?", fragt er. Nur zehn Minuten später steht Lena erneut auf der Bühne und trällert mit ihm zusammen "Ohne Dich" von der Münchner Freiheit. Einige Töne gehen bei Lena komplett daneben, aber sie hat Spaß auf der Bühne, kaspert mit Solli-Tangen herum.

Doch stimmt das wirklich? Kommt alles einfach so aus ihr heraus? Ist für sie alles Spaß oder in Wahrheit nicht doch bitterer Ernst? Einer, der es wissen muss, ist ihr Mentor Stefan Raab. In Oslo weicht er nicht von ihrer Seite. Wo Lena ist, da ist Raab nicht weit. Bei ihrer ersten Probe in der Telenor-Arena kommt er nach dem ersten Durchgang zu ihr auf die Bühne, flüstert ihr etwas ins Ohr. Ist Lena also in Wahrheit eine große Show? Ist alles so perfekt einstudiert, dass es spontan wirkt? "Lena hat immer das gemacht, was sie machen wollte", sagt Raab zu stern.de. Sie sei so, wie sie ist - auch auf der Bühne. Einer wie ihr könne man keine Anweisungen geben. "Ich habe ihr lediglich gesagt, sie solle bei jeder Probe so tun, als sei es das Finale, und sie soll den Moment genießen. Denn das ist es, worauf es bei der Musik ankommt."

"Sie hat Persönlichkeit", erklärt Mary Roos, die für Deutschland zwei Mal beim Eurovision Song Contest teilgenommen hat, das Phänomen Lena gegenüber stern.de. "Sie füllt die Bühne nicht nur mit ihrer Stimme, sondern auch mit ihrem Charakter. Das ist es, was einen guten Sänger ausmacht", sagt Roos. Phil Jackson vom Eurovision Research Network, das sich wissenschaftlich mit dem Eurovision Song Contest beschäftigt, glaubt, dass besonders jene Künstler gut ankommen, mit denen sich die Zuschauer identifizieren können. Viele würden auf der Bühne jemanden suchen, den sie gerne selbst zum Freund oder zur Freundin haben möchten.

Das Lena-Geheimnis ist in ihrer Persönlichkeit begründet

Und Lena möchten offenbar alle zur Freundin haben: "Kampf um die 'Skandal-Lena'", titelte die norwegische Boulevard-Zeitung "Dagbladet" am Mittwoch und widmete Lena eine Doppelseite. Angeblich würden sowohl der diesjährige norwegische Grand-Prix-Teilnehmer Didrik Solli-Tangen als auch der Sieger aus dem vergangenen Jahr, Alexander Rybak, um die Gunst Lenas buhlen. "Lena, wen magst du lieber?", fragt die Zeitung, die sich Lena und einen der beiden Sänger als neues Traumpaar wünscht. "Was läuft da mit Rybak", wollte eine britische Journalistin auf einer Pressekonferenz am Freitagnachmittag wissen.

Und Lena antwortet, wie sie immer antwortet, wenn sie eine Frage nicht mag oder langweilig findet. Mit einem Witz: "Wussten Sie das nicht? Wir sind schon seit ein paar Monaten zusammen und heiraten im Sommer." Und obwohl Journalisten es eigentlich nicht mögen, wenn ihre Fragen nicht beantwortet werden, kommt sie damit bei der versammelten europäischen Presse durch, bekommt sogar Applaus dafür. Das Lena-Fieber, es hat also auch die Journalisten gepackt. Und die sind sich einig: Die Chancen auf einen deutschen Sieg stehen so gut wie seit langem nicht mehr.

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