Schon die Neandertaler hatten eine Vorliebe für alles, was schön und unnütz ist. Das beweisen einmalige Funde an einem Neandertaler-Lagerplatz in Sachsen-Anhalt. "Wir haben zwei fossile Haifischzähne ausgegraben, dazu einen Teil eines versteinerten Tintenfisches sowie Reste von einer Koralle, die Neandertaler vor 90.000 Jahren gesammelt haben", erzählt der Archäologe Enrico Brühl vom Landesamt für Archäologie in Halle. Sein Kollege Thomas Laurat sagt: "Der Neandertaler hat diese 30 bis 60 Millionen Jahre alten Fossilien für sein Leben in keiner Weise benötigt. Aber er hatte ein Auge für das Besondere und hat diese Stücke gesammelt."
Die Objekte aus dem ehemaligen Braunkohletagebau Neumark-Nord bei Halle hält Brühl nicht für einen Zufallsfund. "Diese Stücke sind weltweit sehr selten gefunden worden, unter anderem in Südafrika, und jetzt das erste Mal in Sachsen-Anhalt." In der Archäologie werden solche rätselhaften Stücke, die nicht dem Überleben dienten, als "non-utilitarian objects" bezeichnet. Neben Fossilien zählen auch Kristalle und Mineralien dazu. "Diese Dinge waren offenbar wegen ihrer natürlichen Gestalt oder ihrer Materialeigenschaften für Urmenschen auf irgendeine Weise besonders wichtig", sagt Laurat.
6000 Artefakte lassen das Leben in der Urzeit lebendig werden
Seit 2003 untersuchen Brühl und Laurat Schicht für Schicht die rund 460 Quadratmeter große Fundstelle. Der Neandertaler-Lagerplatz befand sich damals am feinsandigen Ufer eines Sees. "Bislang haben wir etwa 6000 Stein-Artefakte sowie rund 6000 Knochen von erlegten Tieren geborgen. Die Funde ermöglichen einen einmaligen Einblick und eine realistische Rekonstruktion des damaligen Lebens", erklärte Laurat. "Diese Neandertalgruppe jagte hier in der Gegend hauptsächlich das Wildrind sowie Wildpferde und Hirsch."
Mit dem Ende des Braunkohletagebaus wird das Gelände rekultiviert und das Restloch geflutet. Allmählich entsteht wieder der alte Geiseltalsee. Der Eigentümer des Geländes, die Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft, unterstützt die Grabungen. Aber für Brühl und Laurat ist ihre Arbeit jetzt schon ein Wettlauf mit dem Wasser und damit mit der Zeit. Bis spätestens 2011, wenn der See wieder gefüllt ist, müssen sie mit ihren Untersuchungen fertig sein.