OCHSENFROSCH Der Nimmersatt

In süddeutschen Seen macht sich ein Einwanderer breit: Der amerikanische Ochsenfrosch ist fies, fett, vermehrungsfreudig - und frisst nahezu alles, was ihm vors Maul kommt. Artenschützer fürchten um die heimische Tierwelt:

Der Eindringling aus Übersee droht Deutschland zu erobern

»Bööööörp!« Das rüpelhafte Röhren dröhnt so laut über den nächtlich-einsamen See wie ein Rülpser durch die vornehme Stille eines Festbanketts. Es hört sich an wie das Muhen eines gelangweilten Stiers oder eine Basstuba mit verschmutzten Innereien.

Was da über den Baggersee nördlich von Karlsruhe hallt, ist der Paarungsruf eines großen räuberischen Lurchs - des amerikanischen Ochsenfroschs. Der Eindringling aus Übersee hat bereits Einzug in viele europäische Länder gehalten und droht jetzt auch Deutschland zu erobern.

»Es war fünf Minuten vor zwölf, als wir erfahren haben, dass sich der Ochsenfrosch in hiesigen Gewässern vermehrt«, sagt der Offenburger Landschaftsökologe Hubert Laufer, der zusammen mit der Karlsruher Landesanstalt für Umweltschutz (LfU) den Kampf gegen das grünbraune Großmaul organisiert. »Die Tiere haben hier möglicherweise schon acht oder zehn Jahre ungestört gelebt, ohne dass wir davon wussten.«

Obwohl dem Eigentümer des 50 Hektar großen Gewässers das nächtliche Ochsengebrüll spätestens im Jahre 1996 aufgefallen sein muss, unternahm er nichts. Auch die Mitglieder eines örtlichen Anglervereins, die im November 2000 handgroße Kaulquappen aus dem Wasser zogen, ließen die Sache auf sich beruhen. Erst ein Tauchclub meldete der LfU im Juli 2001, dass in einigen ehemaligen Kiesgruben beim Örtchen Eggenstein ein riesiger fremder Frosch sein Unwesen treibe.

Kapitale Riesenquaker sollen sogar Katzen attackiert haben

In der Tat kann der Lurch mit dem wissenschaftlichen Namen Rana catesbeiana erstaunliche Ausmaße erreichen. Zwar sind die fünf Pfund Lebendgewicht, die ihm viele Quellen zuschreiben, wissenschaftlich nicht verbürgt. Aber der französische Umweltschützer Christophe Coic von der Gruppe Cistude-Nature ist immerhin auf Weibchen gestoßen, die zwei Kilo wogen und ausgestreckt 60 Zentimeter maßen. Als normal gelten eine durchschnittliche Körperlänge von rund 20 Zentimetern, 25 Zentimeter lange Hinterbeine und ein Gewicht von etwa einem Kilo.

Die Größe kommt nicht von ungefähr: Der Ochsenfrosch ist ein Vielfraß. »Er schluckt alles, was sich bewegt und in sein Maul passt«, sagt Naturschützer Hans-Martin Flinspach von der Karlsruher LfU. Auf dem Speiseplan stehen Kröten und Lurche aller Art, darunter auch die eigenen Nachkommen und Verwandten, Fische, Vögel, Mäuse, Ratten und andere Nager, Krebse, junge Schlangen und sogar Fledermäuse.

Anwohner des Quesnel Lake bei Nanaimo auf Vancouver Island in Kanada beobachteten, wie Ochsenfrösche, dort »Bullfrogs« genannt, zehn von 14 Küken einer Entenmutter unter Wasser zogen und verschlangen. Und in Frankreich fanden Biologen einige der glibberigen Nimmersatte, die den Versuch, sich ganze Eisvögel einzuverleiben, mit dem Leben bezahlt hatten. Die langen spitzen Schnäbel ihrer Opfer hatten den Ochsenfröschen Mägen und Gedärm durchbohrt. Kapitale Riesenquaker sollen sogar Katzen attackiert haben - und auf Menschen losgesprungen sein.

Ein einziger Froschschenkel soll zur Sättigung ausreichen

In Frankreich bekommt ihnen das schlecht - nicht nur, weil ihnen Naturschützer wie Christophe Coic auf der Spur sind. Jenseits des Rheins werden die »hässlichen Amerikaner« gejagt und verzehrt wie Hase und Kaninchen. Schon ein einziger Froschschenkel eines besonders frohwüchsigen Exemplars soll zur Sättigung ausreichen.

Bei uns hingegen ist es verboten, die unersättlichen Allesfresser zu erlegen - sie stehen groteskerweise unter strengem Naturschutz. Und so können sie unter den ohnehin durch Krankheiten und Biotopverlust stark dezimierten kleineren Lurchen aufräumen, wo immer sie hinkommen.

An drei Fronten kämpfen die Artenschützer Laufer und Flinspach, um die einheimische Tierwelt zu retten: Während der »Rufzeit« von Mai bis Oktober, wenn die erwachsenen Männchen von der Dämmerung bis in die frühen Morgenstunden ihr mehrere Kilometer weit zu hörendes Stiergebrüll erschallen lassen, jagen die Männer die paarungslustigen Lurche. Mit einer Ausnahmegenehmigung der Naturschutzbehörde versehen, blenden sie die schleimigen Brautwerber von einem Spezialboot aus mit Taschenlampen und greifen sie sich. Außerdem rücken sie den Kaulquappen mit Elektrokeschern zu Leibe und suchen die fünf befallenen Gewässer regelmäßig nach Laichklumpen ab.

Selbst Karpfen tun den Riesen-Kaulquappen nichts zuleide

Die Fangzahlen sind ein Beleg für die Ausbreitung des fetten Fremdlings: Zwischen Juli und Oktober 2001 zogen die Lurchjäger der LfU 15000 Kaulquappen und 5000 Jungfrösche aus dem Wasser und machten 20 erwachsene Tiere dingfest. In diesem Jahr waren es bisher über 11000 Kaulquappen und Jungfrösche sowie 40 Alttiere. Die Lurche werden von Flinspach mit Chloroform eingeschläfert und getötet.

Der Naturschützer wäre heilfroh, wenn er die schmutzige Arbeit den Hechten, Karpfen und Aalen in den Weihern überlassen könnte, aber die tun nicht mal den drallen, bis zu 17 Zentimeter langen Kaulquappen etwas zuleide. Flinspach: »Die Haut der Tiere muss einen Abwehrstoff enthalten. Wir haben Tests mit Raubaalen gemacht, die tagelang nichts gefressen hatten - sie rührten die Kaulquappen nicht an.« In ihrer nordamerikanischen Heimat sind Wasserschlangen, große Schildkröten und bestimmte Fische die natürlichen Feinde der dicken Frösche.

Flinspach ist froh, dass die Fangaktionen den »Ausbreitungsdruck« verringert haben. »Je größer ein Ochsenfroschmännchen wird, desto aggressiver verteidigt es sein Revier«, sagt er. »Je heftiger es aber sein Territorium schützt, desto größer wird der Druck auf andere Tiere, abzuwandern und sich in anderen Gewässern niederzulassen. Genau das wollen wir verhindern.«

Als besonderen Triumph empfindet es Laufer, dass es in diesem Jahr gelungen ist, die Weibchen, von denen jedes bis zu 20000 Eier im Jahr legen kann, am Laichen zu hindern: »Offenbar haben wir alle kurz vor der Eiablage erwischt.«

Sind die Kaulquappen erst einmal geschlüpft, was nach vier bis fünf Tagen passiert, gestaltet sich die Jagd ungleich schwieriger. Selbst das sonst so erfolgreiche Elektrofischen ist keine Patentlösung. Die Froschlarven mit den bis zu hühnereigroßen Leibern verlieren zwar bei Kontakt mit dem elektrisch geladenen Kescher das Bewusstsein; weil sie keine Schwimmblase besitzen, sinken sie aber ab, statt wie Fische an der Oberfläche zu dümpeln - und erholen sich rasch wieder. »Wir erwischen maximal 50 Prozent der Larven«, bedauert Flinspach.

Die ersten Ochsenfrösche tauchten in Deutschland 1934 auf

Wie Laufer ist er überzeugt davon, dass der Kampf gegen die gefräßigen Quaker nur zu gewinnen ist, wenn die Natur hilft - beispielsweise mit einem langen frostklirrenden Winter. Dabei ist das Klima den Kämpfern an der Froschfront schon jetzt mehr als wohlgesinnt. Die Entwicklung des Immigranten von der Kaulquappe zum fertigen Frosch dauert bei deutschen Temperaturen rund drei Jahre. Nicht auszudenken, wenn die Verwandlung vom Baby zum Brüller in lediglich drei bis 14 Monaten über die Bühne ginge wie in einigen heißen Ländern. Eine Flut gefräßiger Monster ergösse sich in die nur rund 200 Meter von den Karlsruher Baggerseen entfernten Überschwemmungsauen des Rheins und damit in den Strom selbst. Flinspach: »Wenn die Biester in den Rhein gelangen, dann gute Nacht.«

Wieder einmal soll die Natur dem Menschen hilfreich zur Seite stehen und Katastrophen verhindern, die nur drohen, weil er ihr ins Handwerk gepfuscht hat. Denn die Ochsenfrösche am Rhein sind nicht vom Himmel gefallen, sondern von Züchtern und Liebhabern importiert worden und anschließend ausgerückt oder ausgesetzt worden - genau wie in Italien, Spanien, Großbritannien, Holland und Frankreich, wo ebenfalls Abwehrschlachten toben.

Die ersten Ochsenfrösche tauchten in Deutschland 1934 auf: Fünf Zuchtpaare aus Philadelphia wurden in die Lüneburger Heide gebracht, wo sie in der Nähe von Celle eine Froschschenkelproduktion begründen sollten. Doch schon ein Jahr später wurde die Massenvermehrung den Teichwirten der Umgebung unheimlich, und sie zogen vor den Kadi. Die Farm wurde geschlossen, die entwichenen Hüpfer wurden mit Schrot erlegt.

In vielen deutschen Zimmern und Gärten bööörpte es laut

In den achtziger und neunziger Jahren kam es zur Massenimmigration: Gartencenter boten Ochsenfrosch-Kaulquappen fürs Feuchtbiotop im heimischen Öko-Garten feil, oft mit der unwahren Behauptung, die Junglurche räumten mit den Stechmückenlarven im Teich auf. Falsch: Als Kaulquappen sind die Ochsenfrösche Vegetarier. Auch bei Terrarienbesitzern waren die Frösche mit dem auffallend großen runden Trommelfell hinter den Augen plötzlich heiß begehrt. In vielen deutschen Zimmern und Gärten bööörpte es laut.

Die Ochsenfroschplage im Karlsruher Norden ist vermutlich dem Besitzer einer Zoohandlung in einem an die Baggerseen grenzenden Industriegebiet zu verdanken. Der Geschäftsmann, der unter anderem Rana catesbeiana feilbot, gab Anfang der neunziger Jahre seinen Laden auf und emigrierte nach Frankreich. »Es könnte gut sein, dass er seinen Bestand vor der Abreise in die Baggerseen entsorgt hat«, sagt Laufer. »Auf jeden Fall würde das sehr gut mit dem Alter der Ochsenfrösche in den Seen übereinstimmen.«

Neben der Karlsruher Population gibt es größere Ochsenfroschvorkommen in einem Gartentümpel im schwäbischen Böblingen und in einem Teich bei Meckenheim in der Nähe von Bonn - außerdem einzelne, ausgesetzte Frösche in vielen Regionen Deutschlands, wie etwa das 720 Gramm schwere Männchen, das neun Jahre lang in einem Gartenteich in Karlsruhe-Durlach gewohnt und geröhrt hatte, bis Flinspach es aus dem Verkehr zog.

»Wenn die Viecher ihnen dann über den Kopf wachsen, lassen sie sie frei«

Die Gewässer bei Böblingen und Meckenheim sind mit Zäunen abgeriegelt. Das Technische Hilfswerk Bornheim legte Mitte August »im Rahmen der Ausbildung an Schmutzwasserkreiselpumpen« den Meckenheimer See so gut wie trocken, nachdem dort in den Jahren zuvor bereits mehr als 20000 Kaulquappen gefangen worden waren. Den Zaun um das Gewässer hatten »Tierfreunde«, die offenbar nicht begriffen, welche ökologische Gefahr von Ochsenfröschen ausgeht, immer wieder beschädigt - wahrscheinlich, um den »armen eingesperrten Kreaturen« die Flucht zu ermöglichen. In der Nähe des Teichs verläuft der Swistbach. Für die Lurche wäre er ein Tor zum Rhein.

Froschfreunde ohne ökologisches Verständnis machen den Naturschützern nach wie vor Kummer. So bat die Karlsruher LfU den stern, die Namen der mit Ochsenfröschen verseuchten Gewässer nicht zu nennen. Laufer: »Sonst kommen die Leute in Scharen her und fischen Kaulquappen fürs heimische Aquarium. Wenn die Viecher ihnen dann über den Kopf wachsen, lassen sie sie frei.«

Gerd Schuster

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