Werden Lisztaffen mit einem grammatikalischen System vertraut gemacht, bei dem unterschiedlichen Lauten immer die gleiche Silbe angehängt wird, erfassen sie sofort, wenn diese Regel verletzt wird und die Silbe plötzlich vor einem Laut erscheint. Die Tiere verfügen offenbar über Teile der Steuermechanismen, die beim Menschen die Voraussetzungen für das Sprechen schaffen, schreiben britische Forscher im Fachblatt "Biology Letters" der Royal Society.
Die Wissenschaftler um Ansgar Endress von der Harvard-Universität in Cambridge trainierten insgesamt 14 Testaffen in zwei Gruppen: Sieben von ihnen lernten, eine Verbindung von zwei Lauten wie beispielsweise "bi", "ka", oder "gu" mit der angehängten Silbe "shoy" zu assoziieren. Die anderen Tiere hörten diese Silbe vor statt nach den Übungslauten. Das gramatikalische Prinzip wird in vielen menschlichen Sprachen verwendet, beispielsweise indem eine Endung aus einem Substantiv ein Adjektiv macht wie bei "Weib" und "weiblich". Bei dem Versuch wurde "shoy" von einer Männerstimme gesprochen und die verschiedenen Laute von einer Frauen- oder einer anderen, sehr tiefen Männerstimme.
Im eigentlichen Test sprach eine andere Stimme den Krallenaffen bis dahin unbekannte Wörter wie beispielsweise breast (Brust), wasp (Wespe) oder swan (Schwan) vor. Auch diesen Begriffen war das "shoy" entweder vorangestellt oder angehängt. Entsprach das Gesagte nicht dem erlernten Schema - hörte die Vorsilbengruppe also etwa unerwartet "swan-shoy" statt "shoy-swan" - waren die Äffchen offensichtlich irritiert: Die Tiere schauten messbar länger auf den Lautsprecher, als wenn die Lautfolge ihrem gewohnten System entsprach.
Die Forscher betonen, dass sie natürlich nicht nachweisen wollten, dass die Affen sprechen können. Ihnen sei es um die Frage gegangen, ob bestimmte Komponenten der Sprache auf grundlegenden Lern- und Gedächtnismechanismen beruhen, die auch im Tierreich vorkommen. Dies scheine die Studie zu bestätigen - die Äffchen hätten schließlich das Prinzip eines zeitlich geordneten Musters problemlos verstanden, schreiben die Wissenschaftler. Die Tiere seien also in der Lage, die Regeln und formellen Mechanismen bestimmter Sprachkomponenten zu erfassen.
Das Sprachsystem basiert auf fundamentalen Wahrnehmungs- und Erinnerungsmodulen, die sich ursprünglich im Zusammenhang mit anderen, nicht sprachbezogenen Funktionen entwickelt haben, schreiben die Forscher. Die einzigartige Sprachfähigkeit des Menschen komme daher nicht von einzigartigen Denkmechanismen. Der Mensch sei jedoch als einziges Lebewesen in der Lage sei, diese Lern- und Gedächtnissysteme mit denjenigen Mechanismen zu kombinieren, die für das Erzeugen und Verstehen von abstrakten Lauten und Konstruktionen notwendig sind.