Prozess Der Schnitzel-Windel-Krieg

  • von Georg Wedemeyer
Fleisch muss gut gewickelt werden - wenn das Blut durchsuppt, können sich Chemikalien aus den Saugunterlagen lösen, die Supermärkte für Abgepacktes verwenden. Das ist das vorläufige Ergebnis eines bizarren Rechtsstreits zweier Fleisch-Windel-Produzenten.

Immer wenn der rheinische Unternehmer Volker Hiemsch in den ehrwürdigen Saal 301 des Münchner Landgerichts geladen wird - und das war in den vergangenen Jahren öfters der Fall - geht er vorher noch ein paar Schnitzel und ein halbes Kilo Gulasch einkaufen. Die eingeschweißten Supermarkt-Schnäppchen liegen dann neben ihm auf der Klägerbank im Verfahren "Hiemsch Handelsgesellschaft gegen McAirlaid's Vliesstoffe". Könnte ja sein, dass der Richter doch mal einen Blick auf die Fleischstücke werfen will, die trotz Saugeinlage im eigenen Saft schwimmen. Bisher wollte er nicht.

Dabei dauert die erbitterte Auseinandersetzung zwischen den beiden Sauger-Fabrikanten Hiemsch und McAirlaid's (Streitwert 250.000 Euro) nun schon Jahre. Hiemsch hatte den Konkurrenten im Mai 2003 verklagt, weil dessen Saugeinlagen angeblich lebensmittelrechtlich nicht einwandfrei sind. Stapel von Gutachten und jede Menge Sachverständige sollen seither Fragen klären, die auch den gammelfleischgeschockten Verbraucher interessieren: Sind die blutgetränkten Sauglappen am Boden der Fleischschalen womöglich gesundheitsschädlich? Welches Handling ist korrekt? Und was ist mit der offenen Schnittkante?

Windel aufgegessen

Während Volker Hiemsch noch herkömmliche Saugpads aus Zellstoff vertreibt, produziert Konkurrent und Marktführer McAirlaid's in Thüringen Hightech. Seine synthetische Fleischunterlage enthält zwischen zwei Schichten Zellstoff Chemikalien, wie sie sich auch in Slipeinlagen und Windeln finden. Ein Gramm dieser sogenannten Superabsorber ("vernetzte Polyacrylate") kann theoretisch bis zu einem Liter destilliertes Wasser binden.

Praktisch wird die Saugfähigkeit vom Salzgehalt der Flüssigkeit begrenzt, so dass Windeln wie Saugeinlagen je Gramm Absorber nur höchstens einen Zehntel Liter Urin beziehungsweise Fleischsaft aufnehmen können. Doch auch das übertrifft die Fähigkeiten von Hiemschs Zellstoffpads noch um ein Vielfaches, weswegen die Hightech-Sauger mittlerweile in geschätzten 90 Prozent aller Schnitzelschalen liegen. Die Hersteller pochen auf deren Ungefährlichkeit. McAirlaid's Anwalt Stefan Brakel erzählt gerne die Geschichte eines "psychisch Kranken, der seine Windel gegessen hat - ohne negative Folgen!" Ein anderer Hersteller meint zwar, das Material werde "nach Verschlucken mit dem Stuhl unverändert wieder ausgeschieden", rät aber dennoch "vor und nach dem Braten anhaftende Reste der Saugeinlage zu entfernen". Laut einem deutschen Merkblatt soll man bei Verschlucken den "Mund ausspülen und kräftig Wasser nachtrinken", während es dazu in einem US-Merkblatt heißt "Nicht nachschlucken" und vor Atemnot gewarnt wird.

Wieviel Chemie wandert ins Fleisch?

Erschwert wird die unklare Lage, weil es keine standardisierte Methode gibt, um zu messen, wieviel Absorber auf das Fleisch übergehen (migrieren) kann. Schuld ist der Zellstoff-Chemie-Materialmix. "Es handelt sich hier nicht um Kunststoff im Sinne von § 8 II LMBGVO und damit hat eine Globalmigrationsprüfung nicht zu erfolgen", ließ einer der vielen Gutachter das Gericht wissen. Vermischungen zwischen Fleisch und Chemie gebe es nur bei übersättigten Saugeinlagen. An ihren offenen Schnittkanten dagegen trete nur eine "vernachlässigbare Menge" aus. Anwalt Stefan Brakel assistiert: "Das sind höchstens Fitzelchen."

Mittlerweile haben sich sogar die deutsche Kunststoffkommission und das Bundesinstitut für Risikobewertung mit den Super-Saugern aus der Fleischtheke befasst. Ihre für Hersteller und Verpacker bindende Empfehlung: "Die Saugeinlagen müssen so aufgebaut sein, dass konstruktionsbedingt ein Austreten von Superabsorberpartikeln verhindert wird." Zudem müsse die "Saugkapazität so bemessen sein, dass die aus den Lebensmitteln austretenden Flüssigkeitsmengen vollständig aufgenommen werden."

Durchgesupptes ist Ungenießbares

Darin nämlich sind sich alle Experten, Behörden und sogar die Prozessgegner einig: Fleisch aus Verpackungen mit durchgesuppten Saugeinlagen, in denen der Fleischsaft schwimmt, ist ungenießbar und sollte aus den Regalen verschwinden. Merkwürdig bekannt aus Gammelfleischzeiten klingt da, was das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit zum Thema "Durchsuppen" an Volker Hiemsch schreibt: "Diese Problematik ist von der Lebensmittelüberwachung der Bundesländer bisher noch nicht beobachtet worden."

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