Demokratie in Europa Die bösen Zwillinge von Sark

Es ist eine reichlich skurrile Geschichte: In dieser Woche haben demokratische Wahlen die letzte feudale Herrschaft in Europa beendet - jene auf der britischen Kanalinsel Sark. Dumm nur, dass die Wahl anders ausgegangen ist, als sich das deren Initiatoren, ein steinreiches Brüderpaar, gedacht haben. Jetzt rächen sich die beiden Herren.

So hatten sich die 600 Sarkianer die Demokratie nicht vorgestellt. Noch am Abend, nachdem die Stimmen ausgezählt wurden, schlossen sich die Tore von zwei Hotels, einem Pub und mehreren Geschäften, vielleicht für immer. Die Angestellten wurden entlassen. Die Stimmung verwandelte sich von fröhlicher Feierlaune in eine Art Katerfrühstück. Und Schuld an dieser Entwicklung sind ausgerechnet die Zwillinge, die den ganzen Demokratisierungsprozess angestoßen haben: die Unternehmer Sir David and Sir Frederick Barclay, Eigentümer der britischen Tageszeitung "The Daily Telegraph" und des Londoner Hotels "The Ritz" und Bewohner einer kleinen, sehr felsigen Insel vor Sark mit dem alten französischen Namen Brecqhou.

Wo die Zeit still stand

Diese Insel hatten die Brüder 1993 gekauft und mit einem Disneyland-inspirierten Schloss mit vielen Zinnen und noch mehr Sicherheitskameras bebaut. Sie erfuhren mit Schrecken, dass die Kanalsinsel Sark ihnen nicht nur ganz besonders niedrige Steuern bot, sondern auch eine ganz besondere Rechtsordnung. In Sark herrschte bis zum Wahltag in dieser Woche die letzte feudale Gesellschaft der westlichen Welt. Die Macht auf der kleinen Insel hatte der Seigneur, der 80-jährige Michael Beaumont inne, der gerne in Cordhose und Tweed in seinem Garten Unkraut jätet. Nicht nur war Beaumont der einzige, der auf Sark Hündinnen und Tauben halten durfte, er war es auch, dem jeder Hauseigner bei Verkauf einen Anteil des Gewinnes abtreten musste. Außerdem durfte in Sark Land nur an Söhne vererbt werden, die Eigner der noch von Königin Elizabeth I. verteilten Landstücke durften und mussten eine Muskete zur Verteidigung Englands gegen die Franzosen im Haus halten. Und auf der Insel waren Autos verboten, die Straßen nicht geteert und ansonsten auch vieles sehr viel langsamer vorangeschritten als auf dem Festland.

Mit den Barclay-Brüdern zur Demokratie

Mit der Unterstützung einer ganzen Reihe von Inselbewohnern schritten die Barclay-Brüder zum Europäischen Gerichtshof, um die Rechte ihrer Töchter auf ein Erbe und ihr Recht auf Demokratie einzuklagen. Die Insel war damals noch positiv gestimmt, weil einige mit den Brüdern glaubten, dass es Zeit sei für eine Erneuerung der oftmals obsoleten alten Regeln. Die verhinderten in vielen Fällen durch die alten Landregelungen auch eine Modernisierung der Tourismus-Industrie, der Hotels, Campingplätze und Geschäfte.

Der Seigneur war zwar nicht begeistert, aber er beugte sich schließlich willig dem Diktat aus Brüssel, das eine Demokratie für Sark vorschrieb. Und so entschied das feudale Inselparlament, das zum größten Teil aus Nachfahren der alten. von Königin Elizabeth eingesetzten Familien bestand, sich zu Gunsten eines 30-köpfigen Parlaments aufzulösen. Der Seigneur und der Reginald sollten weiter repräsentative Aufgaben übernehmen.

Eine überraschende Wende

Und so wurden am Mittwoch 28 neue Mitglieder des neuen Parlaments gewählt. Womit die Sarkianer jedoch in den Monaten vor der Wahl nicht gerechnet hatten, war der Einbruch moderner (und oftmals sehr hintertriebener) Lobby-Arbeit von Seiten der Barclay-Brüder. Die hatten bereits seit Monaten langsam die Insel aufgekauft, sechs der 40 traditionellen Land-Parzellen gehören ihnen, ebenso vier von sieben Hotels, ein Pub und weitere Geschäfte. Sie kauften auch die lokale Tageszeitung. Und die wiederum veröffentlichte eine Liste der Kandidaten für das neue Parlament und nannte zwölf Namen, die angeblich die Zukunft der Insel "zerstören" würden. Sie waren alle eng mit dem Seigneur verbunden.

Einen Mann namens Edric Baker nannte das Blättchen einen "feudalen Talibanisten", und Jan Guy, einer freundliche Dame aus dem Tourismusbüro, die in ihrem Hauptberuf für Inselbesucher Führungen über Sommerblumen-Wiesen organisiert, attestierte es "einen Hang zum Sozialismus". Der Lieblings-Kandidat für die Barclay-Brüder stand in diesem Artikel auch fest: Es war ihr Grundstücksverwalter Kevin Delaney.

Schließungen und Kündigungen

Doch wenn Demokratie, dann richtig, scheinen sich die Inselbewohner gedacht zu haben. Und so entschieden sich die Wähler für eine kleine Revolution - nicht gegen die Vertreter der alten Ordnung, sondern gegen die der neuen Zeiten. Kevin Delaney wurde gar nicht gewählt und nur zwei der neun Barclay-Kandidaten zogen ins Parlament ein. Dagegen wurden neun der angeblichen Zukunfts-Zerstörer mit Sitzen belohnt.

Die Rache der Barclays erreichte die Inselbewohner umgehend. Wenige Stunden nach Bekanntgabe des Ergebnisses schlossen sich die Türen von einem Hotel, von Pub und Geschäften. Die Angestellten stehen kurz vor Weihnachten vor der Tür. "Diese Wahl ist eine klare Botschaft an die Barclay-Familie, und sie haben das Gefühl, dass sie nicht in einem Ort arbeiten können, in dem soviel Antipathie gegen sie herrscht", ließ ein Anwalt verlauten und verkündet sogleich das Ende von jährlich bis zu fünf Millionen Pfund geplanten Investitions-Ausgaben.

Der Reginald und damit Richter und führender Polizist der Insel, Leutnant Reg Guille sagte, dass sich die Insel nicht nötigen lasse: "Wir haben sie in unserer Mitte leben lassen und sie eingeladen, unser Lebensgefühl zu teilen. Wir sind sehr unabhängig. Wir leben durch die Arbeit unserer eigenen Hände, und das möge noch lange so gelingen." Und Diana Beaumont, die Frau des amtierenden Seigneurs, fügte an: "Dies alles ist sehr traurig. Die Barclays wollten doch dieses Demokratie-Gedöns, und nun mögen sie es nicht, weil sie nicht gewonnen haben."

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