Hunderte Sicherheitskräfte haben ein Gefängnis in der afghanischen Hauptstadt Kabul umstellt, in dem ein Teil der Insassen seit dem Wochenende die Kontrolle übernommen hat. Die teils mit schwerem Geschütz ausgerüsteten Polizisten und Soldaten - darunter auch Angehörige der US-Armee - warteten auf ihre Einsatzbefehle, teilte ein Armee-Vertreter mit.
Nach Angaben von Insassen des Pul-i-Charchi-Gefängnisses am östlichen Stadtrand töteten die mehr als 1000 Aufständischen in dem Gebäude bereits vier Menschen und verletzten 38 weitere. Den Behörden zufolge haben die Verantwortlichen, zu denen hochrangige Taliban-Kämpfer zählen sollen, einen Gebäudeflügel in ihrer Gewalt, in dem rund 70 Frauen und ihre Kinder untergebracht sind. Noch gebe es Hoffnung, den Konflikt durch Verhandlungen zu lösen, da die Aufständischen offenbar keine Schusswaffen hätten.
"Wir wollen jede Gewalt vemeiden"
Der Aufstand war nach offiziellen Angaben Samstagnacht losgebrochen, nachdem eine Insassengruppe zwei Wächterinnen überwältigt hatte. Die beiden Frauen seien kurz danach aber befreit worden, teilte Gefängnis-Gouverneur Salaam Bachschi mit. Dass die Sicherheitskräfte zur Befreiung der übrigen Geiseln nun offensiv vorgehen würden, schloss er aus. "Wir wollen jede Gewalt vermeiden und sie dazu bringen, aufzugeben."
Vize-Justizminister Mohammad Kasim Haschimsai sagte, vermutlich seien unter den Festgehaltenen zehn Kinder. Daher würde alles versucht, um Verhandlungen mit den Aufständischen zu führen. Allerdings gebe es von deren Seite bislang keinen offiziellen Verhandlungsführer. Zwei Insassen, mit denen am Wochenende noch Gespräche geführt worden seien, seien danach zusammengeschlagen worden.
Ohnehin gab es am Sonntag kurzzeitig Sorgen, die Situation könnte außer Kontrolle geraten. Zeitweise waren auf dem Gefängniskomplex Schüsse zu hören. Die Insassen verbrannten Betten und riefen "Gott ist der Größte!" und "Lang sollen die Häftlinge leben!".
Der afghanischen unabhängigen Menschenrechtskommission zufolge wollen die Häftlinge mit der Revolte unter anderem gegen neue Gefängnisregeln protestieren, wonach sie Uniformen tragen müssen. Etwa 200 mutmaßliche Taliban-Kämpfer, die in der Anstalt ohne Anklage festgehalten würden, forderten zudem ihre Freilassung oder aber einen Prozess, teilte Kommissionsvertreter Nader Nadery weiter mit.
Zu den Rädelsführern des Aufstandes zählt Nadery zufolge Timoor Schah, der unter anderem wegen der Entführung der Italienerin Clementina Cantoni im vergangenen Jahr verurteilt worden war. Auch seien die beiden Taliban-Kommandeure Mullah Mudschadid und Mullah Schahidsai maßgeblich beteiligt.
Pul-i-Charchi ist Kabuls größtes Gefängnis. In den achtziger Jahren wurden dort tausende Gegner des Kommunismus festgehalten und teils gefoltert oder sogar getötet. In der Anstalt hatte es schon in der Vergangenheit Aufstände gegeben.