In der sanften Hügellandschaft Mittelitaliens mit den akkurat gezogenen Feldern ereignete sich einst ein kleines Wirtschaftswunder. Unter der Zauberformel "Piccolo e bello" sorgten kleine und mittlere Betriebe für einen nachhaltigen Boom. Spezialisiertes Handwerk, Zuliefererbetriebe für die Industrie, ausgestattet mit modernster Technik und ebenso gut ausgebildetem wie motiviertem Personal.
Auf seiner Website wirbt Germano Ercoli ausdrücklich mit dem guten Betriebsklima seiner Firma. Der Unternehmer stellt Gummisohlen für die Schuhgiganten "Hogan", "Tod´s" und "Paciotti" her. 260 Mitarbeiter beschäftigt er in seinen beiden Betrieben "Eurosuole" in Civitanova Marche und "Goldenplast" in Potenza Picena. Jahresumsatz: 66 Millionen Euro. Einen Teil seines Profits verteilte Ercoli unlängst an seine Beschäftigten und machte damit Schlagzeilen. "Es ist sinnlos über die Zukunft zu reden, das Vertrauen der Belegschaft einzufordern, wenn die Leute kein Geld in der Tasche haben", verkündete der untersetzte Patron mit dem ovalen Gesicht und der Halbglatze.
Unternehmer wollen die Folgen der Krise für ihre Arbeiter abmildern
Ercoli, 61, ist auch Chef des regionalen Unternehmerverbands der Region Marken, er setzte sich mit anderen Unternehmern für die Steuerfreiheit des 13. Monatsgehaltes ein. Das hätte den italienischen Staat rund fünf Milliarden Euro gekostet - zuviel, wie Wirtschaftsminister Tremonti befand. Deshalb langte Ercoli in die eigene Tasche und zahlte jedem seiner Arbeiter 350 Euro als Prämie, die Summe entspricht aber genau der Steuer auf das 13. Gehalt. "Die Löhne reichen nicht aus, um den Auswirkungen der Krise standzuhalten. Meine Mitarbeiter und deren Familien sind die am meisten Leidtragenden", so Ercoli.
Der Pasta-Hersteller Enzo Rossi, auch aus der Region Marken, war nach einem Selbstversuch zu demselben Ergebnis gekommen. Er versuchte mit dem Lohn seiner Angestellten einen Monat lang auszukommen, schaffte es bis zur dritten Woche und stockte den Salär auf. Das Beispiel machte Schule. Schuh-Gigant Diego della Valle ließ seiner Belegschaft kürzlich einen Bonus über 1400 Euro zukommen. "Ich empfinde eine soziale Verantwortung für das Unternehmen" erklärte der Patron von "Tod´s".
Patriarchalische Sozialpolitik wie im 19. Jahrhundert
Auch ein Großindustrieller aus dem Norden wie der Brillen-Multi "Luxottica" mit 7.800 Beschäftigten konnte sich zu Maßnahmen durchringen, um den Reallohn zu stützen. Das Unternehmen aus Agordo bei Belluno wird Grundbedarfsmittel, Fortbildungen, medizinische Versorgung und Begünstigungen beim öffentlichen Transport einkaufen und zu Vorzugspreisen seinen Mitarbeitern anbieten. 350 Euro pro Jahr sollen die Arbeiter dadurch sparen. Ebenso haben sich elf regionale Banken aus der Umgebung von Brescia in der Lombardei bereit erklärt, zinslose Kredite unter bestimmten Bedingungen an Arbeiter zu vergeben.
Diese einzelnen Initiativen lassen Erinnerungen an die Sozialpolitik des späten 19. Jahrhunderts wach werden, als Unternehmer frei von Tarifverhandlungen über das Wohl und Wehe der Arbeiterschaft entschieden. Die Gewerkschaftsbewegung fegte solche patriarchalische Firmenkultur später hinweg, die vom Shareholder-Value dominierte Finanzwelt der 90er Jahre gab ihr den Rest. Doch die Krise lässt Unternehmer, Arbeiter und regionale Banken wieder zusammenwachsen, wie das Magazin des Corriere della Sera feststellte. Und diesmal mit dem Einverständnis der Gewerkschaften.