Kolumbien Absurder Krieg im Dschungel

Von Toni Keppeler
Die kolumbianische Armee hat Raul Reyes, die Nummer zwei der Farc, getötet. Deswegen mobilisieren jetzt Ecuador und Venezuela ihre Truppen. Eine weitere Episode in einem fast 50 Jahre dauernden Krieg, der völlig absurd geworden ist. Besuch in Taraira, einem Dorf im Konfliktgebiet.

Taraira, das sind zwei Straßen, gesäumt von bunt gestrichenen Holzhäuschen. Wegen der vielen Regenfälle stehen sie auf hohen Stelzen. Davor ist eine Landepiste in den Dschungel geschlagen. Dahinter, am Waldrand, steht ein Fort, umzäunt von hohen Pallisaden aus hartem Tropenholz. Im Inneren grobe Blockhütten mit Dächern aus Palmblättern. Gekocht wird im Freien, überm Lagerfeuer. Man könnte die Anlage für das Abenteuerlager einer Pfadfinder-Gruppe halten, wären da nicht die Männer in Tarn-Uniform und mit über der Brust gekreuzten Patronengurten, das M-16-Sturmgewehr stets griffbereit.

Die Polizeistation im Dorf ist von einem hohen Wall aus Sandsäcken geschützt. Im Garten haben sich die Funker in einem Bunker aus dicken Baumstämmen eingegraben. Tag und Nacht halten sie Kontakt mit den Kameraden im nächsten Dorf. Das ist acht Stunden Fußmarsch entfernt. Man muss eine Machete mitnehmen, um durchzukommen, denn rund um Taraira ist unendlicher Dschungel. Bei gutem Wetter schafft man den Weg in anderthalb Flugstunden in einer einmotorigen Cessna. Aber die Cessnas kommen nur, wenn die tropischen Regengüsse die sandige Landebahn nicht in eine knietiefe Schlammpiste verwandelt haben.

150 Paramilitärs passen auf 300 Zivilisten

Warum nur schickt eine Regierung 150 militärisch ausgerüstete Polizisten, um auf nicht einmal 300 Zivilisten aufzupassen, die da verloren im Amazonas-Dschungel nahe der Grenze zu Brasilien hausen? Ganz einfach: Taraira wurde sieben Jahre lang von der Farc beherrscht. Julio Quintero, der Wirt der einzigen Kneipe im Dorf, wird spätestens nach dem zweiten Bier melancholisch und wünscht sich diese alten Zeiten zurück. Er ist nicht der einzige, der so denkt. Doch Polizeichef Mauricio Peña und seine Männern passen auf, dass genau das nicht passiert. Draußen im Dschungel werden 1500 Farc-Kämpfer vermutet. Wer weiß, ob und wann sie zuschlagen werden? "Wir haben Munition für vier oder fünf Tage Abwehrschlacht", sagt Pena. "Dann muss Verstärkung aus der Luft da sein."

1997 war die Farc nach Taraira gekommen und hat das Dorf vor dem Untergang bewahrt. Die Siedlung war erst zwölf Jahre zuvor gegründet worden; von Abenteurern, die gehört hatten, dass es in einem nahe gelegenen Berg Gold gebe. Doch der Rausch dauerte nicht lange. Die Adern waren nicht sehr ergiebig. So schnell, wie Taraira gewachsen war, drohte es wieder zu verschwinden. Dann kamen die Guerilleros. "Respektable Leute", sagt Kneiper Quitero noch heute mit Achtung. "Es war nie mehr als ein Dutzend von ihnen im Dorf." Sie mussten Taraira nicht erobern. Sie wollten nur die Kontrolle über die Landepiste, und über diese Piste kam Geld ins Dorf, sehr viel Geld.

3000 Euro Landegebühren

Eine mit einer halben Tonne Kokain beladene Cessna schafft es von Taraira ohne Zwischenlandung an die Küste Brasiliens. Von dort wird das Rauschgift nach Europa verschifft. Für die kolumbianischen Drogen-Kartelle war Taraira ein idealer Umschlagplatz. Die Farc verlangte bis zu 3000 Euro Landegebühren und ließ sich gerne auch mit Waffen bezahlen. Und die Dorfbewohner verkauften Flugsprit zu Horrorpreisen und verdienten mit dem Beladen einer Maschine an einem Tag so viel wie ein Fabrikarbeiter in der Hauptstadt Bogota in einem Monat. Alle profitierten von diesem Geschäft. In den Läden des Dorfes wurde mit kolumbianischen Pesos, mit Dollars und Euros bezahlt; stets mit großen Scheinen. Wechselgeld hat damals niemand verlangt. "Und wenn es ein Fest gab", erzählt der Wirt mit glänzenden Augen, "dann haben wir uns ein Flugzeug voller Nutten aus Brasilien kommen lassen." Mit den revolutionären sozialistischen Idealen, mit denen die Farc einst angetreten war, hatte das alles nie etwas zu tun. Der Krieg ist in Kolumbien längst zum Selbstzweck geworden.

2002 kam Alvaro Uribe ins Präsidentenamt, und der hat sich vorgenommen, die Rebellen militärisch zu vernichten. Ein von der Guerilla kontrolliertes Dorf nach dem anderen hat die Armee zurückerobert. Taraira war das letzte, und wieder fand keine Schlacht statt. Als sich die Soldaten im Morgengrauen des 6. Februar 2004 aus Helikoptern ins Dorf abseilten, hatten sich die Guerilleros längst in den Dschungel zurückgezogen. Dort sind sie noch heute.

Was also hat das Ganze gebracht? Ein besetztes Dorf, verbitterte Bewohner und eine angespannte Situation, die jeden Tag explodieren kann. Uribe mag noch so viele Milliarden Dollar Militärhilfe aus den USA bekommen, er kann diesen Krieg nicht gewinnen. Der Dschungel ist viel zu groß. Die Farc wird zwar nie eine große Stadt erobern. Aber sie verdient durch die Kontrolle über die Drogenrouten und mit Entführungen genügend Geld, um noch einmal fünf Jahrzehnte im Urwald durchzuhalten. Das wäre nicht weiter tragisch - würden nicht jedes Jahr 2000 Menschen getötet und wären nicht zwei Millionen Kolumbianer auf der Flucht.

Es wird also weiter geschossen

Dieser absurde Krieg kann nur durch Verhandlungen beendet werden. Uribes Vorgänger Andres Pastrana hat das versucht und ist gescheitert. Aber immerhin: Man hat miteinander geredet. Der wichtigste Verhandlungsführer auf Seiten der Farc war damals Raul Reyes. Uribe hat ihn am vergangenen Wochenende töten lassen. Es wird also weiter geschossen.