Der 65-jährige Jusuf mit dem weißen Bart und den großen melancholischen Augen liebt Taxis über alles. Und deshalb stiehlt er sie. Am laufenden Band. Nicht die modernen graublauen Limousinen mit Air Condition. Nein, nur die uralten gelbschwarz gestreiften Fiat-Klapperkisten, die man in Mumbai Tiger nennt. Wenn der rechtmäßige Fahrer ein Mittagspäuschen macht oder gerade mal pinkeln muss, steht Jusuf hinterm nächsten Baum bereit, zieht stolz den Generalschlüssel aus seiner abgewetzten braunen Hose, schließt schnell ein paar Drähtchen kurz und ab geht die Post. Und Jusuf fährt und fährt, solange das Benzin reicht.
Eher zufällig geschnappt
Zu seinen Kunden ist Jusuf stets höflich und bescheiden, nie gab es Beschwerden. Er kennt sich auch gut aus. Als die Polizei ihn neulich eher zufällig schnappte, saß der Meisterdieb zum 57. Mal in einem gestohlenen Wagen. Inoffiziell waren es sicher mehr als hundert Spritztouren. Habe ich schon gesagt, dass Jusuf von Beruf Penner ist und auf Gleis 7 der quirligen Mumbaier Churchgate Station sein Zuhause hat? Auch spannend, aber Züge interessieren ihn nun mal nicht.
Als Taxifahrer in einer so chaotischen 19-Millionenstadt muss man eiserne Nerven haben. Die hat Israr, unser Lieblingstaxifahrer - schließlich ist er Reisbauer und kommt aus einem kleinen Himalaya-Dorf. Er sagt, die Mumbaier Autofahrer seien nicht besser als eine Herde Ziegen: nicht besonders schlau, dafür streitlustig und sie nähmen sich dauernd gegenseitig auf die Hörner. In Mumbai wird so rasiermesserscharf aneinander vorbeigeschnitten, dass kein vernünftiger Fahrer sich traut, die Aussenspiegel normal auszuklappen. Die werden ganz schnell vom eiligen Nachbarauto amputiert.
Polizei? Lieber nicht!
Man fährt ja auch nicht nach Sicht, sondern nach Gehör. Nach Hupe. Wenn's allerdings kracht, ist das Geschrei groß und die Kontrahenten prügeln gern aufeinander ein, um die Rechtslage zu klären. Es sei denn, das Gesetz taucht auf. In Khakishorts, Schiffchen auf dem Kopf und dem obligaten Schlagstock - Erbe der britischen Kolonialzeit - in der Hand. In diesem Fall ziehen die Unfallbeteiligten es vor, blutend und hinkend das Weite zu suchen, bevor der Arm des Gesetzes greift - meistens nach dem Portemonnaie der Streithähne.
Die Autorin
Als Swantje Strieder vor einigen Jahren, damals für den "Spiegel", aus Indien berichtete, waren Hungersnöte, Mitgiftmorde und Grenzkriege die beherrschenden Themen. Nach Zwischenstationen in Rom, New York und Hamburg ist sie wieder nach Indien zurückgekehrt und lebt in der Mega-City Mumbai. Vom mühsamen und doch faszinierenden Alltag berichtet sie jede Woche in ihrer "Mail aus Mumbai".
Ich habe es selbst gesehen, wie Israr erwischt wurde, als er ohne Gurt fuhr. Der Polizist verlangte den Führerschein, drehte uns kokett den Rücken zu, während Israr eine 50-Rupie-Note, knapp einen Euro, zwischen die Seiten seiner Fahrerlizenz klemmte. Der Beamte blätterte, nahm den Schein und winkte uns gnädig weiter. Ich war entsetzt, mein Taxifahrer zufrieden. "Unsere Beamten sind sehr zuverlässig bei aller Bestechlichkeit," sinnierte Israr dankbar. Wie das? "Ja, wenn der Polizist Anzeige erstattete, hätte ich wochenlang Ärger, wäre den Lappen los und müsste wahrscheinlich das Zwanzigfache zahlen."
Boten, Menschenhändler, Bankiers
Taxifahrer sind vielmehr als Dienstfahrer. Sie sind das Amalgam in einer vieltausendfach durch Kasten, mindestens 30 Sprachen und grundsätzlich verschiedenen Geschmäckern getrennten Gesellschaft. Sie sind die Boten, die lautlos zwischen Ober- und Unterwelt agieren. Manche von ihnen sind Menschenhändler: "Ich kenne Kollegen am Flughafen, die für arme indische Wanderarbeiter eine der begehrten Arbeitserlaubnisscheine samt Flugschein in die Golfstaaten organisieren - für eine saftige Gebühr natürlich!", weiß Israr. Andere Taxifahrer sind "Arzthelfer", befördern die meist reichen Patienten aus Übersee zum ebenfalls reichen Nephrologen, der ihnen eine Niere transplantiert. Oder sie fahren die hübschen jungen Damen, die die Augen nicht niederschlagen, ins Luxushotel. Nierenklau und Prostitution sind illegal, aber was kann der arme Fahrer dafür?
Taxifahrer sind oft böse Abzocker, die die Tarife je nach Laune manipulieren, manchmal sind sie aber auch großzügige Banker, die ihren Kunden kurz vor Monatsende den Fahrpreis stunden oder das Geld für den hübschen kleinen Perserteppich oder die Pashmina im Laden vorstrecken. Sind Kavaliere, die die Einkäufe der Hausfrau in den dritten Stock tragen. Spielen gerne Schutzengel wie Isrars junger Neffe Asif. Als meine 19-jährige Tochter bei uns in Mumbai zu Besuch war und unbedingt das Nachtleben erkunden wollte, chauffierte Asif sie ins Zentrum. Kaum chillte sie mit einem jungen Mann ganz harmlos auf dem Marine Drive, der glitzernden Strandpromenade, folgte Asif ihr wie ein Schatten. Beim ersten zarten Kuss - küssen verboten in Indien - wäre Asif sicher wie ein guter Bodyguard dazwischen gegangen. Haben wir ihm nicht befohlen. Ist sein Beschützerinstinkt.
Englischkenntnisse sind selten
Mumbais Taxifahrer sind also multifunktional und unverzichtbar, nur eines können die allermeisten Fahrer nicht: englisch. Was für Ausländer des öfteren zu komischen Missverständnissen führt. Wissen Sie, was "declabee" ist? Ich auch nicht. Bis ich nach siebenmaligen Nachfragen im Taxi herausfand, dass der Fahrer damit "The Club", den Tennisclub in der Nähe meinte. Im Zweifelsfall solange durch Mumbai kurven, bis Taxifahrer und Kunde einen sprachlichen Kompromiss "post office please, not police" gefunden haben.
Neulich Nacht hatten wir eine besonders spannende Fahrt quer durch die Stadt. Der Fahrer fuhr wie ein Henker. Als ob die gesamte Polizei Mumbais hinter ihm her sei. Er hatte einen weißen Bart und große traurige Augen. Passte also gut auf die Personenbeschreibung von Mumbais Meister-Taxidieb Jusuf Shaik. Das Fahrzeug, wenn man es so nennen darf, war ein schwarzgelb gestreiftes Tiger-Taxi aus den Sixties. Es hatte keine Sicherheitsgurte, weder vorne noch hinten. Da dieser alte Fiat-Typ flach geschnitten ist, hingen wir großen Germanen mit den Köpfen fest eingekeilt an der Decke, was gut war, denn die Stoßdämpfer hatten schon lange ihren Geist aufgegeben.
Saß der Meisterdieb am Steuer?
Es gab auch keinen Innen- und keinen Außenspiegel. "Hat der Typ überhaupt Scheinwerfer an?" fragte ich meinen Mann. "Weiß nicht. Kann sein, dass da ein bisschen was funzelt," beruhigte der Gemahl. Jedenfalls sauste der Fahrer bei relativ wenig Verkehr durch die Nacht, überfuhr vier rote Ampeln, schnitt drei Motorrikschas, die ebenfalls ohne Licht herumgeisterten, den Weg ab. Ich war dankbar, dass diesmal keine der Heiligen Kühe, die nachts auf den Müllhaufen längs der Straße grasen, unseren Weg kreuzte. Unser höllischer Fahrer verlangte auch nur ganze fünf Dollar für die weite Strecke und verbeugte sich artig fürs Trinkgeld. Danke, Meisterdieb Jusuf oder wer immer dieser passionierte Taxifahrer war.