Die ersten Wasserbomben flogen mir bereits am Vorabend von Holi, dem großen indischen Frühlingsfest und Farbspektakel, um die Ohren, aber sie waren noch nicht rot, grün oder gelb sondern farb- und geruchlos, nur ein bisschen nass. Und das macht bei 35 Grad nichts, in der 18 Millionenstadt Mumbai ist man für jede Erfrischung dankbar. Dann sah ich meinenNachbarn, einen kleinen alten Herrn, der sich immer in der traditionellen weißen Kurta kleidet, die wackligen Stufen einer Leiter erklimmen, die zwei ungeschickte junge Helfer mühsam hielten.
Mit viel Glück hängte der Herr Präsident von den "Senior Citizens von Juhu" ein Plakat an die Palme, dass die ganze Nachbarschaft herzlich zum Holi-Fest eingeladen sei. Ich war froh, dass der Alte mit dem weißen Nehru-Schiffchen auf dem Kopf sicher wieder herabstieg, bevor die Leiter mit einem Krach umfiel. "You come?", fragte er höflich und erklärte umständlich, dass die Farben, die ganz sicher auch auf mich herabregnen würden, umweltfreundlich seien. Natur pur sozusagen. Die Senioren von Juhu sind ein rühriger Verein, deren berühmt-berüchtigte Festredner, etwa zum Tag der Republik am 26. Januar, von der Wirkung her jedes Schlafmittel schlagen. Holi, das quirlige Frühlingsfest der Hindus beim Rentnerverein?
Schwer verrechnet! Holi ist Karneval! Für alle! Von jung bis mittelalt und alt! Schon am Morgen hörte ich Trommelgedröhn und laute Bollywoodmusik. Unser Wachmann Pandu kam kichernd an, Gesicht und Haare rot wie ein Punk und die schöne schwarze Uniform von einem dichtem gelbem Puder zugestaubt, als sei er in einen Vulkanausbruch mit Gelbasche geraten. Rani, unser Streunerhund, den wir Nachbarn durchfüttern, war rotverklebt und flüchtete sich winselnd zu mir. Denn unsere Straße war nicht nur schwarz, sondern rot, gelb, grün vor Menschen! Ich konnte gerade noch unbehelligt an zwei Jugendgruppen mit Wassereimern mit undefinierbarer Flüssigkeit vorbeihuschen.
Plötzlich ist jeder fröhlich
Dann brachte mich der Herr Präsident, der inzwischen blau, gelb und grün zugepudert war, in einen Innenhof. Eine Garde von jungen Mädchen ging mit Wasserkanonen auf mich los, dann staubte pfundweise buntes Farbpulver auf mich nieder. Irgendjemand malte mir das Gesicht knallrot, die Baseballkappe behielt ich aber auf Anraten von Rena, meiner Friseurin fest auf, um die Haare nicht ganz zu ruinieren. Dann zog mich meine Nachbarin, die mich sonst immer aus ihrem Brahmanenbrillenblick abschätzig als "firangi", Ausländerin betrachtet, lachend in einen Kreis tanzender Frauen, die "Happy Holi, happy Holi" sangen.
Holi, erklärte mir meine meist leicht arrogante Nachbarin, die heute total redselig war, habe eigentlich nichts mit "holy", heilig zu tun, sondern mit der Dämonentochter Holika. Deren Vater, der Dämonenkönig Hiranyakashipu war - wie viele Politiker - so eitel und selbstverliebt, dass er sich für gottgleich hielt und Prahlad, seinem Söhnchen verbot, weiterhin zu Gott Vishnu zu beten. Schließlich wollte der böse Dämon sogar seinen Sohn umbringen lassen. Aber der stand unter Vishnus Schutz. Als der Vater ihm vergiftete Nahrung gab, verwandelte sich das tödliche Zeug in dessen Kindermund zu Nektar. Als der böse König eine Horde wilder Elefanten losschickte, die den Jungen zertrampeln sollte, knieten die Rüseltiere vor ihm nieder. Na, und die giftigen Schlangen, Sie kapieren schon, die ringelten sich an seiner Seite friedlich ein.
Sieg des Guten über das Böse
Daraufhin stachelte der Dämon seine Tochter Holika auf, ihren kleinen Bruder auf den Schoß zu nehmen und mit ihm ins Feuer zu steigen. Holika selbst besaß nämlich eine Art Zauber-Schal, also eine feuerabweisende Pashmina. "Also dann", zog meine Nachbarin die Spannung hoch und stopfte mir erst jede Menge indische Süßigkeiten in den Mund, "also, als die Schwester mit dem Brüderchen auf dem Schoß in den Flammen saß, nahm Gott Vishnu ihr den Schal und wickelte ihn um den Kleinen, der unversehrt blieb, während die böse Holika verbrannte. Eigentlich grausam, wie das Märchen von Hänsel und Gretel, fand ich. Die Nachbarinnen schüttelten fröhlich die bestäubten Köpfe "Jetzt musst du mit uns tanzen, um den Sieg des Guten über das Böse feiern!"
Zu Hause besah ich meine Kriegsbemalung im Spiegel und schrubbte mich eine halbe Stunde unter der Dusche sauber. Gelb, grün und schwarz gingen ab, aber das Rot leuchtet noch immer feurig aus meinem Gesicht und von meinen Füßen. Rot ist in Indien eine fröhliche zukunftsweisende Farbe, nicht wie in Deutschland, wo sich manche Genossen der ehemals vornehmen Politfarbe fast schämen. Also, ich trage rot stolz.