Schon gefrühstückt heute? Sonst sollten Sie vielleicht nicht weiterlesen, wenn ich Ihnen die netten kulturellen Eigenheiten meiner 19 Millionen-Megacity Mumbai näher beschreibe, diesen absolut unverfälschten Sound der Gosse. O-Ton Nummer eins: Er kommt von ganz tief unten aus der Kehle, da wo so begnadete Sänger wie Pavarotti selig Gold sitzen haben. Aber es offenbart sich nicht in einem samtenen hohen C, sondern in einem verdächtigen krähenhaften Krächzen, gefolgt von einem triumphierenden Zischlaut. Und schon fliegt das Endprodukt, ein grüngelblicher Schleimpropfen zielsicher vor meine Turnschuhe - deshalb trage ich hier so ungern Highheels oder Sandalen.
Variante B: ich sitze in einer der vielen tausend dreirädrigen Taxi-Motorrikschas, die bis auf ein Klappverdeck nach allen Seiten offen sind, vor allem für die Auspuffgase der anderen Autos. Während mein Fahrer wie eine wild gewordene Hummel durch den Verkehr saust, fällt ihm plötzlich ein, dass es vielleicht bei einer Ausländerin cool wirkt, wenn er - Geräusch s. o.- seinen frisch zerkauten blutroten Betelsaft in die Luft spuckt- und der Fahrtwind ihn wie einen Bumerang auf meine blütenweiße Hose trägt. Die Souvenir-Spuren von rotem Betelsaft können Sie allerdings auch anderswo, in fast allen Treppenhäusern der Stadt, sogar im Flur des Finanzamtes Mumbai Mitte im vornehmen Mittal-Building bewundern.
Die Stadt als Urinal
Die dritte Melodie der Großstadt beginnt morgens um sieben mit einem lang anhaltenden seichten Plätschern, das nichts mit Händels Wassermusik zu tun hat. Es sind alle Taxifahrer, Rikschafahrer, Privatchauffeure, die zu dieser Stunde... mit Eimern, Seife und Wasserschläuchen ihre PS-schwachen Gefährte oder PS-starken Luxuslimousinen mit religiöser Inbrunst reinigen. Auf der Straße. Vergangene Woche gab es sogar einen tödlichen Streit, welcher Rikschafahrer zuerst die Hand-Waschanlage benutzen durfte. Dabei sollen wir doch alle Wasser sparen. Nach vollendetem Ritual kommt das nächste: da stellen sich die Taxifahrer mit dem Gesicht zur nächstbesten Mauer, um selber Wasser zu lassen. Neulich sah ich fünf in einer Reihe urinieren. Wo sollen sie auch hin? Es fehlen nach Angaben der Stadtverwaltung 35 000 Latrinen!
Geld stinkt nicht, sprach der römische Kaiser Vespasian vor fast 2000 Jahren, pecunia non olet und baute den Bürgern von Rom wunderbare Pissoirs, für die er eine saftige Pinkelsteuer erhob. Geld stinkt nicht, beschloss der Stadtrat von Mumbai letzte Woche und drückte seinen Mitbewohnern einen Strafkatalog mit heftigen Geldbußen auf, allerdings ohne jede Art von Pinkel- oder sonstiger Infrastruktur zu schaffen. Ab sofort also ist Spucken, Baden, Pinkeln, großes Geschäft erledigen, Auto- bzw. Kleiderwaschen auf der Straße verboten. Auch Müllabladen, egal ob biologisch abbaubar oder hoch toxisch, wurde endlich unter Strafe gestellt.
Stadt setzt "Clean up Marshalls" ein
Um dem Gesetz Wirkung zu verschaffen, stellte die Stadt über Nacht ein paar Dutzend "Clean up Marshalls" ein. Die neuen Saubermänner von Mumbai bekamen schicke taubenblaue Uniformen mit orangen Epauletten, wo "clean up !" prangt, was hier nur jeder Zweite lesen kann. Aber auf das Ausrufezeichen kam es an. "Jeder Mumbaier träumt von einer sauberen Stadt," so Clean-up-Marshall Tiwari zur Tageszeitung DNA, "wir sind gut ausgebildet, um den Bürger, der vor sich hin schmutzt, zum Besseren zu erziehen."
Das Echo auf die Anti-Schmuddel-Aktion der Stadt fiel allerdings zwiespältig aus. Da schöpften die Schwestern Zarina und Suhela Farooqui, zwei bekannte Rechtsanwältinnen, Hoffnung, dass die wilde Müllkippe mit rottenden Marktabfällen vor ihrem Fenster endlich einmal verschwinden könnte. Nach zehnjährigem Kampf mit den Bürokraten. Tatsächlich wurde auch ein einzelner wilder Firmenmüllablader- einer von tausenden - von den Marshalls heldenhaft gestellt und mit 2000 Dollar Strafgebühr belegt, allerdings auch eine arme Marktfrau beim Abwaschen ihres Garküchengeschirrs erwischt- zwei Dollar Buße. Aber dann drohten die Taxifahrer mit Streik, falls sie ihre Autos nicht mehr auf der Straße waschen- und an die Mauer urinieren könnten.
Religiöse Führer bekamen Bedenken
Die religiösen Führer bekamen Bedenken, dass fromme Hindus nun nicht mehr streunende Hunde, Tauben oder Kühe auf der Straße füttern könnten, ohne ein Strafmandat vom Clean up Sheriff befürchten zu müssen. Und wen soll man überhaupt bestrafen, den Besitzer der drei heiligen Kühe, die jeden Morgen bei mir um die Ecke ziemlich prosaisch im Müll grasen oder die Marktleute und die Restaurants, die den Futter-Müll verursachen? Auch ich bekam ein wenig Angst, ob ich "Hans" und "Franz", unser zahmes Spatzenpaar, die über der Waschmaschine nisten, weiter mit Krümeln füttern darf. Schließlich bewahre ich so eine bedrohte Art vor dem Aussterben. Aber natürlich wäre ich froh, wenn die Spuckerei und Pinkelei und Sch... endlich eingedämmt würde. Gibt es keinen goldenen Mittelweg?
"Wir brauchen keine Clean up Marshalls, wir Bürger, besonders wir Reichen, müssen uns erst mal selbst erziehen!" schrieb Geschäftsmann N Raghuraman seinen Mumbaiern Mit-Millionären ins Stammbuch. Die Schmuddelkinder seien beileibe nicht nur die Armen! "Ich habe oft beobachtet, wie überbezahlte CEOs und Manager aus Luxuskarossen heraus gespuckt, ihren Müll in der Landschaft verteilt oder an anderer Leute Wände gepinkelt haben", so Raghuraman. Als ob immer einer hinter ihnen herräume. Und er hat sogar ein Rezept frei nach Kaiser Vespasian: Erst wenn die großen Baulöwen und Absahner-Firmen bereit seien, ihre Logos nicht nur auf ihre Hochhaus-Paläste sondern auf von ihnen gestiftete, pieksaubere Pissoirs zu setzen, werde die ekelhafte Schifferei von Mumbai aufhören. Pecunia non olet.