Zwei Monate vor der Parlamentswahl in Österreich lehrt der als "EU-Rebell" bekannt gewordene österreichische Journalist und Europaabgeordnete Hans-Peter Martin die etablierten Partei in der Alpenrepublik das Fürchten. In einer ganzseitigen Kolumne gab der 59-Jährige im Boulevardblatt "Kronenzeitung" bekannt, dass er mit einer eigenen "Bürgerliste" am 1. Oktober antreten werde. Martins Ankündigung wurde zwar von Parteisprechern betont gelassen kommentiert. Doch insgeheim betrachten vor allem die kleineren Parteien eine Kandidatur des professionellen Meinungsmachers mit größter Sorge: Er könnte ihnen die Stimmen wegnehmen, die sie zum Einzug in den Nationalrat dringend brauchen.
Schillernde politische Vergangenheit
Alle Meinungsforscher gehen davon aus, dass der Einzelgänger mit seiner "Bürgerliste Martin - für Demokratie, Kontrolle, Gerechtigkeit" die in Österreich geltende Vier-Prozent-Hürde für den Einzug ins Parlament schaffen wird. Das Wählerpotenzial für seine Liste liegt danach bei bis zu zwölf Prozent. Und Martin, der bei den österreichischen Medien nicht gerade beliebt ist, hat mit der "Kronenzeitung" einen mächtigen Verbündeten.
Der politische Quereinsteiger, der sich in den vergangenen Jahren nicht nur unter EU-Parlamentariern viele Feinde machte, hat eine schillernde politische Vergangenheit. Der Journalist, der unter anderem für das Hamburger Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" arbeitete, wurde 1999 auf der Liste der österreichischen Sozialdemokraten in das Europaparlament gewählt. Dort sorgte der Mann, der nach Meinung der Tageszeitung "Der Standard" seinen Wählern "vorgaukelt, ein Politiker zu sein, der kein Politiker ist", wenige Jahre später für Unruhe, als er seinen Abgeordnetenkollegen unter anderem den Missbrauch von Steuermitteln vorwarf und Vetternwirtschaft anprangerte.
Im äußerst EU-kritischen Österreich sammelte er mit dieser von der "Kronenzeitung" massiv unterstützten Kampagne gegen "Spesensumpf und Diätenabzocke" so viele Punkte, dass er bei der Europawahl 2004 mit seiner Liste rund 14 Prozent der Stimmen erhielt. Damit landete er auf Anhieb auf dem dritten Platz noch vor den Grünen. Den rechtsnationalen "Freiheitlichen" (FPÖ) nahm er so viele Stimmen ab, dass deren Anteil halbiert wurde.
"Politische Mogelpackung"
Martin, den seine frühere Mitstreiterin und EU-Abgeordnete Karin Retsetaris heute als "Populisten übelster Sorte" und "politische Mogelpackung" beschimpft, könnte nach Ansicht der Meinungsforscher allen Parteien Stimmen wegnehmen. Bedrohlich dürfte es aber für die FPÖ und das vom Ex-FPÖ-Chef Jörg Haider 2005 gegründete "Bündnis Zukunft Österreich" (BZÖ) werden. Schließlich bauen alle drei Gruppierungen mit populistischen Programmen vor allem auf Zulauf der Unzufriedenen. Besonders das auf wackeligen Füßen stehende BZÖ könnte über die Neu-Partei stolpern und den Einzug ins Parlament verpassen.
Eine wichtige Hürde allerdings muss die "Liste Dr. Martin" noch überspringen. Um am 1. Oktober antreten zu dürfen, müssen mindestens 2600 Österreicher bis zum 25. August eine Unterstützungserklärung für ihn unterschreiben und diese anschließend auf Gemeinde- und Magistratsämtern beglaubigen lassen. Danach allerdings dürften "Dr. Martin" die Türen zum Parlament nach Meinung der Experten offen stehen.