Referendum Türkei steht vor grundlegender Verfassungsreform

Noch unter der Herrschaft des Militärs wurde die türkische Verfassung 1982 verabschiedet, knapp 30 Jahre später darf das Volk mitentscheiden. Während Ministerpräsident Erdogan mehr Demokratie und Freiheit verspricht, werfen ihm seine Kritiker vor, er wolle die Justiz unter seine Kontrolle bringen.

In der Türkei hat am Sonntag eine Volksabstimmung über eine breit angelegte Verfassungsreform begonnen. Fast 50 Millionen Wähler sind zur Stimmabgabe über ein Änderungspaket aufgerufen, das unter anderem weitere Einschränkungen der Macht der Militärs sowie eine umstrittene Justizreform enthält. Das Referendum gilt zugleich als wichtiger Stimmungstest für die Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan.

Erdogan hat für die Reform als Schritt auf dem Weg in die Europäische Union geworben. Sie mache das lange von Militärregierungen beherrschte Land demokratischer und moderner. Kritiker sehen in den Veränderungen dagegen einen weiteren Versuch der konservativ-islamischen Kräfte, die weltliche Ausrichtung des Landes zu untergraben und den Einfluss der Religion zu stärken.

Zu den umstrittensten Veränderungen zählt die Reform des Verfassungsgerichts, das gemeinsam mit dem Militär als Hüterin des säkularen Charakters des Landes gilt. Das Parlament erhält mehr Einfluss auf die Bestellung von Richtern, der Kreis der in Frage kommenden Kandidaten für die wichtigsten Posten wird vergrößert, ihre Amtszeit auf zwölf Jahre beschränkt. Zudem sollen auch Einzelpersonen das Verfassungsgericht anrufen können.

Die Militärgerichte sollen künftig nur noch Fälle aus ihrem Bereich behandeln und dürfen nicht mehr über Zivilisten urteilen. Verfahren wegen Verstößen gegen die Staatssicherheit und die Verfassung werden von zivilen Gerichten übernommen. Die Reform hebt zugleich einen Passus auf, der eine Strafverfolgung der Mitglieder des Nationalen Sicherheitsrats verhindert. Der Rat wurde nach dem Militärputsch von 1980 gebildet. Damit wäre der Weg für eine juristische Aufarbeitung der Zeit frei.

Reuters
Reuters/AFP