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"Der Sommer gehört uns" Spanische Regierung macht Werbung für "Body Positivity" – und kassiert Shitstorm von Betroffenen

Fünf Frauen auf einem Bild der Kampagne "Der Sommer gehört uns" der spanischen Regierung
"Der Sommer gehört uns". Mit dieser Kampagne wollte die spanische Regierung für mehr "Body Positivity" werben – hat aber selbst Prothesen wegretuschiert.
© Twitter/Ministerio de Igualdad
Eigentlich sollte das eine positive Geschichte werden: Am vergangenen Mittwoch kündigte das spanische Ministerium für Gleichstellung eine große Kampagne für die körperliche Vielfalt von Frauen an. Der Titel: "Der Sommer gehört uns".  Zu dem Zeitpunkt ahnten fünf Frauen noch nicht,  dass ihre Körper ohne Einwilligung benutzt und bearbeitet wurden.

Als "Katastrophe" wird die Kampagne der Regierung von der Zeitung "El Español" betitelt. Eine Kampagne, die gegen Diskrimierung vom Spanischen Fraueninstitut konzipiert wurde, entpuppte sich in den letzten Tagen als Beispiel für Rechteverletzung von Frauen und "wirtschaftliche Gewalt", wie es ein Twitter-Nutzer beschrieb.

"Sie haben mich nicht respektiert." 

"Mein Bild wird von der spanischen Regierung in einer Kampagne verwendet, aber sie haben nicht nach meinem Bild oder meiner Erlaubnis gefragt!", teilte die Britin Nyome Nicholas-Williams entsetzt am Freitag auf Instagram mit. "Ich bin erschöpft. Ich bin ausgelaugt. Es ist alles zu viel", lautet ihr Kommentar in der Beschreibung.

Es sei das zweite Mal innerhalb der letzten zwei Jahre, dass ihr Körper fremdverwendet wurde. Am Wochenende meldete sich eine weitere betroffene Frau: Siân Green-Lord tauchte auf der Bildfläche auf.

links das Originalbild, rechts das Design von Arte Mapache
links das Originalbild, rechts das Design von Arte Mapache
© Instagram/curvynyome

"Ich kann nicht erklären, wie viel Wut ich im Moment empfinde."

Green-Lord ist die Frau links. Mit schwarzer Sonnenbrille und Getränk in der Hand posiert sie neben den vier anderen Frauen am Strand. Das Original-Foto stammt aus ihrem Ibiza-Urlaub. Sie zeigt sich dort mit der exakt gleichen Pose.

Ein wichtiges Körpermerkmal fehlt aber: Die Prothese am linken Bein wurde retuschiert – auf einem "Body Positivity"-Plakat. In einer Story teilte sie ihre Reaktion: "Es ist eine Sache, mein Bild ohne meine Erlaubnis zu verwenden, aber meinen Körper mit meiner Beinprothese zu bearbeiten, ist mehr als falsch!" 

links das Originalbild mit Prothese, rechts das Design von Arte Mapache
links das Originalbild mit Prothese, rechts das Design von Arte Mapache
© Instagram/sianlord_

"Mein Kopf auf dem Körper einer anderen Frau."

Die dritte ungefragte Protagonistin dieser Geschichte ist Juliet FitzPatrick. Im stern-Interview sagte sie, sie sei "geschockt". Sie ist sich sicher: Sie ist die Frau, die auf der linken Seite steht. Auf dem Plakat lächelt sie und zeigt sich zufrieden mit ihrem Körper. Sie hat eine Brust, die zweite wurde ihr entfernt.

Diese Frau ist aber offensichtlich nicht nur FitzPatrick: FitzPatrick selbst hat sich beide Brüste während ihrer Krebserkrankung entfernen lassen. Ihre Vermutung: Es ist ihr Kopf, der auf dem Körper einer anderen Frau montiert und bearbeitet wurde.

Beide Bilder könnten aus Ami Barwells Fotoreihe "Masectomy" stammen. Juliet war Teil dieser Serie im Jahr 2019. Auf stern-Anfrage antwortete die Fotografin: "Es scheint große Ähnlichkeiten zu geben, aber die einzige Person, die absolute Klarheit über die Quelle dieser Bilder geben kann, ist der sogenannte 'Künstler', der für die Werbekampagne verantwortlich ist."

"Der Sommer gehört uns": Spanische Regierung macht Werbung für "Body Positivity" – und kassiert Shitstorm von Betroffenen
© Ami Barwell/Masectomy

"Body Positivity"-Kampagne: "Zutiefst unmoralisch"

Der mutmaßliche Bilderklau hat auch Folgen für die Fotografin selbst: Aktuell untersuche Barwell den möglichen illegalen Missbrauch. Zuvor wurde sie mit Fragen "auf Twitter bombardiert." "Wenn diese Bilder ohne meine Zustimmung verwendet und manipuliert worden sind, bin ich empört", schreibt sie in ihrer Antwort an den stern.

Das Vertrauen zwischen ihr als Fotografin und dem Model sei sehr wichtig. Sollte jemand dieses Vertrauen missbrauchen, indem er ein Bild ohne ihre Zustimmung verwendet und entwürdigt, sei das "zutiefst unmoralisch", betont Barwell in ihrem Statement. 

In einem Instagram-Kommentar um Erlaubnis gefragt

Die Designerin des Plakats ist "Arte Mapache". Sie hinterließ unter Nyomes Instagram-Post einen Kommentar mit Herzchen-Emoji: "Hallo! Ich habe dir eine Direktnachricht geschickt." Eine kurze Nachricht, die eine offizielle Anfrage um Bildrecht-Erlaubnis ersetzen soll.

Auf Twitter entschuldigte sie sich ausdrücklich bei allen Betroffenen: "Meine Absicht war es nie, ihr Image zu missbrauchen, sondern die Inspiration, die Frauen wie Nyome Nicholas, Raissa Galvão... für mich darstellen, in meine Illustration zu übertragen", lautet das Twitter-Statement der Künstlerin am 28. Juli. 

Seitdem ist "Arte Mapache" untergetaucht. Sie wolle "alles so schnell wie möglich klären" und "den entstandenen Schaden wiedergutmachen", heißt es in ihrem letzten Tweet. Die Designerin versuche, diese Angelegenheit mit den Beteiligten privat zu lösen.

Nach Shitstorm: Ministerium entfernt Kampagne aus den sozialen Medien

Sowohl das Ministerium als auch die Ministerin für Gleichstellung Irene Montero entfernten am Wochenende die Plakate aus ihren sozialen Medien – ohne Begründung.

Auch die Betroffenen wurden darüber anscheinend nicht einheitlich informiert. So schreibt Jule FitzPatrick dem stern: "Ich habe eine Nachricht vom Spanischen Fraueninstitut erhalten, das die Kampagne in Auftrag gegeben hat. Sie entschuldigten sich für die Verwendung nicht genehmigter Bilder und sagten, sie hätten erst nach Fertigstellung des Plakats davon erfahren."

Ami Barwell hingegen bekam noch keine persönliche Nachricht: "Ich habe mich sowohl an 'Arte Mapache' als auch an die spanische Regierung gewandt und um Aufklärung über diese Bilder gebeten, aber keine Antwort erhalten."

Ein Beispiel für "wirtschaftliche Gewalt"

"Die Kampagne hätte großartig werden können, wenn ich gebeten worden wäre, sie mit den "echten" Frauen auf den gestohlenen Bildern zu fotografieren",  sagt Ami Barwell. Arte Mapache hat aber einen Fehler gemacht. Sie hat sich inspirieren lassen und dabei Datenschutz und Bildrechte missachtet.

Aus einer positiven Geschichte wurde ein düsteres Drama mit offenem Ende. Der Tweet von Froilán I de España fasst die Katastrophe gut zusammen: "Der Sommer gehört auch uns. Was uns nicht so sehr betrifft, sind die Bildrechte der Frauen, die wir auf dem Plakat zeigen. Keine ästhetische Gewalt gegen diese Körper, aber viel wirtschaftliche Gewalt."

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