Tangier Island Die Insel der Trumpisten

  • von David Signer
Die Bewohner von Tangier Island vor der Küste Virginias glauben nicht an den menschengemachten Klimawandel – dafür an die Rettung durch Donald Trump. Der steht mit Beginn der Vorwahlen am Montag in Iowa vor einem Comeback. 
Ein kleiner Hafen
"2024 – I’ll be back!", steht auf der Fahne im Hafen. Bei der Wahl 2020 haben hier 88 Prozent für Trump gestimmt
© Jonas Kako/NZZ

Am Mittag kommt die Flut und setzt die Insel unter Wasser. Die Vorgärten verwandeln sich in Teiche, in den Straßen gibt es kein Durchkommen mehr. Wer keine Stiefel trägt, bekommt nasse Füße. Viele Häuser stehen auf Stelzen oder wurden angehoben, sonst würden die Wohnzimmer überschwemmt. Vor den Gebäuden stehen Rampen für die Motorräder und Golfcarts, mit denen man sich hier fortbewegt. Autos gibt es kaum.

Tangier Island mit seinen rund 450 Einwohnern liegt in der Chesapeake-Bucht im US-Bundesstaat Virginia – und versinkt langsam im Wasser. Kein Punkt liegt höher als anderthalb Meter über dem Meeresspiegel, die Fläche der Insel wird immer kleiner. Anfang des 20. Jahrhunderts waren es 600 Hektar, jetzt sind es noch gut 300, wobei nur noch 35 bewohnbar sind. Immer mehr Fläche wird zu Marschland, die früher verbreitete Landwirtschaft ist wegen der Versalzung des Bodens unmöglich geworden. Jeder Hurrikan, wie letztmals "Sandy" im Jahr 2012, zerstört weitere Teile der Insel und kann das Aus für die Bewohner bedeuten.

Tangier Island von oben, viel davon ist vom Meer verschlungen
Tangier aus der Luft: Immer mehr Fläche der Insel wird zu unbewohnbarem Marschland
© Jonas Kako/NZZ

Von den "ersten Klimaflüchtlingen der USA" schrieben Wissenschaftler und Reporter, als das Schicksal der Gemeinde vor Jahren erstmals durch die Medien ging. Und noch für etwas anderes ist Tangier Island bekannt: Kommt man mit dem Boot an, stechen einem als Erstes all die Trump-Fahnen am Hafen ins Auge, mit dem Slogan: "2024 – I’ll be back!" Tangier Island ist auch eine Insel der Trumpisten. Und das hat Folgen.

Rudy Shores watet durch den Rasen vor seinem Haus, der sich in einen Sumpf verwandelt hat. Der 70-Jährige ist wie die meisten auf Tangier Island schon hier geboren und war sein Leben lang Krabben- und Austernfischer, ein sogenannter Waterman – ein Mann, der von und mit dem Wasser lebt. "Jetzt fahre ich nur noch hin und wieder mit meinem Sohn hinaus", sagt er.

Shores grüßt eine Frau in Gummistiefeln, die auf dem Sträßchen vorbeischlurft. Die 75-jährige Brenda Laird ist schlecht gelaunt. "Dieses verfluchte Hochwasser", schimpft sie. Sie erzählt von ihrem Mann, der hier begraben war. "Eines Tages, während der Flut, wurde sein Sarg aus dem Boden geschwemmt. Da ließ ich ihn einäschern, obwohl er das nie gewollt hatte. Nun steht die Urne in meinem Wohnzimmer – im Trockenen. Ihm zuliebe bin ich hierhergezogen. Ich wäre schon lange wieder aufs Festland zurückgegangen, aber meine Söhne leben hier als Watermen."

Brenda Laird läuft durch das stehende Wasser auf der Straße
Brenda Laird verflucht das Wasser. Sie wäre längst fortgezogen, blieb aber wegen ihrer Söhne
© Jonas Kako/NZZ

Die Angst ist allgegenwärtig

Viele Gräber liegen nicht auf einem Friedhof, sondern vor den Häusern der Familien. Zudem sind sie zubetoniert. Sie sind so besser geschützt vor dem Wasser und können überwacht werden, sodass es nicht plötzlich zu makabren Überraschungen kommt und das Skelett des Großvaters durch eine überflutete Straße treibt.

Zubetonierte Gräber
Gräber auf der Insel werden zubetoniert, damit sie nicht vom Wasser weggespült werden
© Jonas Kako/NZZ

Das Thema Hochwasser und die Angst, dass die Insel irgendwann ganz verschwindet, sind hier allgegenwärtig. In den 1940er-Jahren hatte Tangier Island noch 1000 Einwohner, jetzt sind es weniger als die Hälfte. Einem Bericht des Fachmagazins "Nature" zufolge könnte sie in 25 Jahren unbewohnbar sein.

Erschienen in stern 03/2024