Fox-News-Talker "Sie" wollen "Dich" zerstören – wie Tucker Carlson Angst und Schrecken von Rechts verbreitet

Tucker Carlson
Tucker Carlsons Botschaft: "Sie" wollen, dass "Du" ruhig bist und gehorchst.
© Brian Cahn / Picture Alliance
Er verbreitet Kreml-Propaganda und sagt, die Bevölkerung werde "ausgetauscht". Seit sechs Jahren agitiert US-Talker Tucker Carlson am rechten Rand. Die "New York Times" hat 1150 Sendungen analysiert und erklärt das System der Angstmache. 

"Nimmt man die Vereinigten Staaten, so versucht nur Fox News, eine alternative Sichtweise zu präsentieren." Der Mann, der diese Worte vor kurzem in einem Interview sagte, heißt Sergej Lawrow und ist der Außenminister Russlands. Nun hat der 71-Jährige ein legendär flexibles Verhältnis zur Wahrheit. So behauptete er wenige Tage vor dem Einmarsch in die Ukraine, dass die Kriegswarnungen des Westens reine Panikmache seien. Oder, jüngst, dass Adolf Hitler "jüdisches Blut gehabt" habe. Aber manchmal hauen seine Einlassungen dann durchaus hin. Denn Fox News legt tatsächlich Wert auf "alternative Sichtweisen", besser bekannt unter dem Begriff: Lügen.

"Jeden Tag blickt Tucker Carlson dir in die Augen"

Lawrows Lob aus dem März galt auch der Arbeit des erfolgreichsten Moderators des Senders, Tucker Carlson. Seit Ende 2016 leitet er durch die gleichnamige Talkshow zur besten Sendezeit. Drei Millionen Amerikaner schauen dem 52-Jährigen werktäglich dabei zu, wie er jede Eskapade des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump über den grünen Klee lobt, wie er alles in Bausch und Boden verdammt, was irgendwie "links" sein könne (Verschärfung von Waffengesetzen, Corona-Maßnahmen, alles mit Gender) und seit neustem sogar Kreml-Propaganda betreibt. "Putin will keine Nato-Mitgliedschaft, Joe Biden aber den heißen Krieg". Mit solchen und anderen Ausführungen erzielt er höchste Einschaltquoten.

Weil "Tucker Carlson Tonight" so erfolgreich ist, hat sich die "New York Times" (NYT) über 1150 Ausgaben der Show gebeugt, sie analysiert und die Ergebnisse in einem aufwändigen Multimediabeitrag online gestellt. Ihr Fazit: "In der Woche kommt Tucker Carlson jeden Tag, blickt 'Dir' eine Stunde lang ins Auge und erzählt 'Dir', dass 'sie' die Kontrolle wollen, um 'Dich' zu zerstören." "Sie" und "Du" das sind die beiden Antagonisten, mit deren Hilfe Carlson seinen Zuschauern seine Sicht der Dinge darlegt. "Die 'Sie' gegen 'Dich'-Dauerschleife ist ein beliebtes Stilmittel von Populisten und autoritären Führern, um eine Verbindung zum Publikum herzustellen" und die Welt in leicht verdauliche Schwarz-Weiß-Häppchen einzuteilen, so das Blatt.

Im Zentrum fast aller Erörterungen Carlsons steht eine Art Feldzug der mächtigen "herrschenden Klasse" gegen den ohnmächtigen Durchschnittsamerikaner. "Sie" bedrohen "Dich" und alles, an das "Du" glaubst, hämmert der Moderator seinem Publikum jeden Tag aufs Neue ein. "Sie", das sind Demokraten, Medienvertreter, Großindustrielle, Akademiker, aber auch Sport- und Hollywood-Stars. Die Bandbreite reicht von US-Chef-Immunologen Anthony Fauci, über New Yorks Ex-Bürgermeister Bill de Blasio, Basketball-Superstar LeBron James, Ex-CIA-Chef James Comey, Bill Gates und Mark Zuckerberg, bis hin zu Barack Obama und Vizepräsidentin Kamala Harris. Mehr als 800 Mal taucht der Begriff "herrschende Klasse" in den 1150 Sendungen auf, wie die "NYT" gezählt hat.

Lüge gehört zum Geschäftsmodell

Dabei kann jedes Thema zur "Verschwörung der herrschenden Klasse" werden: die Legalisierung von Marihuana, Feminismus, Einwanderung. Sein Trick ist dabei nicht einmal originell, aber wirkungsvoll. Er beginnt seine Ausführungen mit echten Informationen oder korrekt zitierten Studien, verzerrt sie dann aber derartig, bis sie zu seinen Anschauungen und mutmaßlich auch denen seiner Zuschauer und Zuschauerinnen passen. Dass dabei die Wahrheit bis zur Unkenntlichkeit verbogen wird, gehört offenbar zum Geschäftsmodell. 2020 war ein Gericht der Argumentation von Fox-News-Anwälten gefolgt, nach dem jeder "vernünftige Zuschauer Tucker Carlsons Ausführungen mit einer angemessenen Skepsis folgen" würde.

Screenshot NYT Tucker Carlson
Screenshot aus der "NYT"-Multimediareportage: Jedes gelbe Kästchen steht für einen Gast bei "Tucker Carlson Tonight", der oder die nicht mit den Ansichten des Moderators übereinstimmt.
© Screenshot/"New York Times" / stern

Daneben bedient sich der Fernsehmann vor allem erzkonservativen bis offen rechtsextremen Positionen:

  • Mindestens 600 Mal hat Carlson apokalyptische Szenarien verbreitet, nach der sich die "westliche Zivilisation selbst zerstört", weil "die Führer in Washington, Berlin und Paris sie nicht für erhaltenswert erachten". Dazu, so der Fox-News-Moderator brauche es keinen Angriff von außen, "wir verrotten von innen". Fast wortgleich urteilt Wladimir Putin über "den Westen".
  • Seit einiger Zeit sehr beliebt ist die in rechten und antisemitischen Kreisen (auch in Europa) verbreitete Verschwörungserzählung des "großen Austausches". Danach würden "sie" (in diesem Fall die regierenden Demokraten) die Bevölkerung mit Hilfe vom Immigranten aus der "3. Welt" ersetzen wollen, die unter anderem "gehorsamere Wähler" seien. In mehr als 400 Mal Episoden taucht diese krude Behauptung auf.
  • Zu weiteren Feindbildern, die regelmäßig vorkommen, zählen auch Feministinnen und Feministen sowie Menschen, die nicht in klassische Gendernormen passen und daher "die Geburtenraten senken würden". Häufigkeit: rund 200 Sendungen.
  • Weiteres populäres Thema: "Obsession mit Hautfarben", "Gleichheit" und die "Diskriminierung von Weißen". "Sie" würden eine Welt schaffen, in der "Du" diskriminiert wirst, weil die Rechte von Minderheiten mehr wert sein würden als "Deine". Diese Erzählung wendet er zum Beispiel auch auf den Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021 an, bei dem tausende, überwiegend weiße Trump-Anhänger in das Parlamentsgebäude eingedrungen waren. Laut Carlson hätten "sie" dafür gesorgt, dass die weißen Täter härter bestraft würden, als die straffällig gewordenen Täter der "Black-Lives-Matter"-Bewegung. Knapp 600 Mal war das Thema in seiner Sendung.

Tucker Carlson sitzt allerdings nicht alleine in seinem Studio in Florida, in jeder Sendung ist mindestens ein Gast anwesend. Deren politisches Spektrum ist in den vergangenen Jahren allerdings stark zusammengezurrt. Machten Gesprächspartner, die nicht Carlsons Meinung teilten, zu Beginn noch einen beachtlichen Anteil aus, wurden sie ab 2020 nur noch vereinzelt eingeladen. Im Jahr darauf gab es nur noch drei Gäste, die politisch nicht auf der Seite des Gastgebers standen. Carlson behauptet, die "Liberalen" (wie in den USA Linke und Linksliberale genannt werden) sich weigern würden, in seine Show zu kommen. Beim Sender Fox News heißt es, die Zuschauer würden keine Debatten mögen.

Ob Tucker Carlson, der einst bei den eher linken Sendern wie CNN und MSNBC gearbeitet hat, seine teilweise absurden Verschwörungstheorien selbst glaubt, oder ob er nur seinem Publikum sagt, was es hören will, lässt die "NYT" offen. Der prominente Ex-Rechtsextremist Derek Black sagt dazu, dass es letztlich egal sei, ob er Dinge wie "Weißen Nationalismus" gut heiße, weil er "die gleiche Rhetorik" benutze und der Idee vor großem Publikum auf diese Weise "Glaubwürdigkeit" verleihe. David Duke, Neonazi und früherer Ku-Klux-Klan-Führer, schlug Carlson bereits als Vizepräsidentschaftskandidaten für Donald Trump und seinen nächsten Wahlkampf vor.