Der Sicherheitsexperte Christian Mölling sieht in der Lieferung von Patriot-Abwehrraketen durch die USA an die Ukraine keine Eskalation des Konflikts. Er widerspricht damit der russischen Seite, die die Stärkung der ukrainischen Luftabwehr als Provokation mit unabsehbaren Folgen bezeichnet hatte. Mölling sagt am Donnerstag im stern-Podcast "Ukraine – die Lage", es sei ein "relativ normaler Vorgang, dass man die Ukrainer an diesem Punkt nicht allein lässt". Es gebe Munitionsprobleme bei Systemen wie dem Flugabwehrpanzer Gepard. Zudem werde im Krieg kontinuierlich Material verbraucht und verschlissen, so dass neues herangeschafft werden müsse. Die Patriots seien "kein Gamechanger" – also kein System, das die Auseinandersetzung grundsätzlich verändere. "Insgesamt sehe ich keine Eskalation", sagt der Forschungsdirektor der deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik.
Mölling schließt nicht aus, dass in der Ukraine bereits Patriots im Einsatz sind. "Das mag so sein", sagt er. "Es gehört ja zur Gepflogenheit, den Gegner und die Öffentlichkeit im Unklaren darüber zu lassen, was der Stand der Dinge ist." Dies sei schon geboten, um Angriffe auf die Lieferungen zu verhindern, bevor die überhaupt ihr Ziel erreichten. Naheliegend erscheint Mölling auch, dass ukrainische Soldaten an westlichen Waffen vorsorglich ausgebildet würden, um diese schnell einsetzen zu können, wenn die politische Entscheidung falle, sie zu liefern.
Mölling: USA haben sich eine Pipeline von Systemen für die Ukraine zurechtgelegt
Nach seiner Einschätzung werden die USA auch weiter die ukrainischen Streitkräfte stärken. "Die Amerikaner haben konsistent seit dem Frühjahr gesagt, dass sie die Ukraine weiter unterstützen werden und dass die Unterstützung besser wird, je näher wir 2023 kommen", sagt er. Sie hätten sich "eine Pipeline von Systemen zurechtgelegt". Aber natürlich wolle man die Russen im Unklaren darüber lassen, was an Problemen auf sie zukomme.
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Mölling verweist darauf, dass Russlands Armee viel von ihren Fähigkeiten eingebüßt habe. "Die Russen müssen Munition schießen, die 40 Jahre alt ist", betont er. Es gebe viele Hinweise darauf, dass "die russischen Möglichkeiten immer weniger werden, große Offensivoperationen noch zu starten". Dies sieht er auch als einen Grund für die Angriffe auf die Infrastruktur in der Ukraine. "Die Russen versuchen systematisch, die Lebensgrundlage des Alltags für die Menschen in der Ukraine zu zerstören – und nicht, die Ukraine militärisch zu besiegen. Was einfach zeigt, dass Russland militärisch nicht mehr in der Lage ist, das zu tun." Den Beschuss von Stromanlagen, Wasserversorgung und Heizungssystemen bezeichnet Mölling als "Verzweiflungstat". Es gehe darum, "diesen Krieg in irgendeiner Art und Weise zumindest nicht zu verlieren".