Very British Die beste Stunde der Briten

Am 3. September jährt sich die Kriegserklärung der Briten gegen Deutschland zum 70. Mal. Eine Ausstellung erinnert an die ersten Monate des Zweiten Weltkriegs in Großbritannien, die vor allem eines waren: ruhig.

Die zwei riesigen Kanonen-Hälse vor den Toren des Imperial War Museums im Süden Londons sind umgeben von Lavendelbüschen, am Rand des englischen Rasens wachsen Rosensträuche. Auf den Bänken sitzen Besucher des Museums und essen mitgebrachte Sandwiches.

Das Kriegs-Museum und seine Ausstellungen sind beliebt, besonders bei Familien. In diesem Sommer war die Nachstellung von Schützengräben mit faulen Gerüchen und lautem Granaten-Beschuss ein Publikumsmagnet. Das Museum schafft es dabei, die Faszination kleiner Jungs und Mädchen für große Kanonen und ratternde Maschinengewehre mit der Botschaft zusammenzuführen, dass Krieg große Opfer fordert: Die Kinder lernen, wie schwer die Verletzungen waren, wie hungrig die Soldaten und auch wie sinnlos viele gestorben sind in diesem ersten Weltkrieg, dem "Great War", wie er in Großbritannien immer noch heißt.

Filmausschnitte, Poster und Kleidungsstücke

Die Ausstellung "Outbreak 1939" ist eine sehr viel ruhigere Angelegenheit als der nachgestellte Grabenkrieg nur ein paar Flure weiter. Terry Charman, leitender Historiker des Museums, hat aus ganz Großbritannien Dokumente, Filmausschnitte, Poster und Kleidungsstücke zusammengeholt, die für die ersten Monate des Krieges in Großbritannien wichtig waren, darunter zum Beispiel die Uniform, in der König George VI. seine erste Kriegs-Rede an das verunsicherte Volk hielt.

Als erstes hört der Besucher der Ausstellung jedoch die Radioansprache des Premierministers Neville Chamberlain, in der dieser seine Landsleute über die Kriegserklärung an Deutschland informiert. "Chamberlain wird heute als schwache Figur gesehen, der von Hitler in den Friedensverhandlungen in den Jahren vorher getäuscht wurde", sagt der leitende Historiker des Museums, Terry Charman. "Aber er war ein harter, unsentimentaler Mann, der sein Kabinett fest in der Hand hatte." Die Kriegserklärung war eine persönliche Niederlage für Chamberlain, von der er sich nicht mehr erholen sollte. Zehn Monate später starb er an einer Krebserkrankung, vorher übernahm Churchill sein Amt als Premierminister.

Tagebucheintrag: "Krieg erklärt"

"Es gibt Berichte, nach denen Chamberlain bei einem Treffen mit dem Armeestab in der Downing Street seinen Kopf auf den Tisch legte und zehn Minuten nicht mehr aufsah. Es war eine schwierige Zeit für ihn", sagt Charman. In einer Vitrine hat er das kleine Tagebuch Chamberlains ausgestellt - am 3. September steht ein einziger Eintrag, schnell mit flüchtigen Bleistiftstrichen hingeschrieben: "Krieg erklärt".

Nach der Radioansprache des Premierministers schrillten sofort die ersten Luftangriffs-Sirenen. Die Menschen strömten in die Bunker, Gasmasken wurden ausgeteilt. Es war einer von vielen Fehlalarmen. Es folgten Monate im Schwebezustand zwischen normalem Alltag und dem Krieg, der noch so richtig keiner war. Zeitschriften hatten schon wenige Wochen nach Kriegsausbruch Schwierigkeiten, diesen zu illustrieren.

So kann der Besucher in der Ausstellung durch Zeitschriften der Zeit blättern, in der neben Sandsäcken vor den großen Denkmälern auch Passanten gezeigt wurden, die in der Sonne mitten im Piccadilly Circus ihren Mittagsschlaf hielten, wenn auch mit dem kleinen quadratischen Kasten immer an der Seite, in der jeder seine Gasmaske mit sich herumtrug.

"Es war unsere beste Stunde"

Diese ersten Monate sind in Großbritannien als "phoney war" bekannt, als falscher Krieg. Der erste britische Soldat starb im Dezember, vier Monate nach Kriegsausbruch, als er bei einem Patrouillengang auf eine französische Mine trat. Nur auf der See war der Krieg auch für die Briten bereits sehr spürbar - über 2000 Marinesoldaten verloren im Jahr 1939 ihr Leben auf Kriegsschiffen oder auf bewaffneten Handelsschiffen. "Wir Briten haben eine Art Kriegs-Nostalgie", sagt Terry Charman zum Erfolg seiner Ausstellung. "Es war unsere beste Stunde. In diesen Monaten spielte Großbritannien die Vorreiter-Rolle im Kampf gegen Hitler und sein Regime."

Umfragen aus der Zeit zeigen einen großen Optimismus der Briten kurz nach der Kriegserklärung - die meisten hofften auf eine schnelle Beilegung des Konflikts. Viele glaubten, die See-Blockaden könnten die Kriegsmaschinerie Deutschlands zum Stillstand bringen. Winston Churchill, der 1940 als Premierminister eingesetzt wurde, musste seinen Landsleuten nach Monaten der trügerischen Ruhe erst wieder die Angst vor einer Invasion der deutschen Wehrmacht einimpfen. Die amerikanische Korrespondentin Virginia Cowles schrieb an ihre Zeitung nach dem Einläuten des neuen Jahres 1940: "Als Mister Churchill das alte Jahr verabschiedete, schien er tief gerührt zu sein, als habe er eine Vorahnung, dass er wenige Monate später sein Land durch die schwierigste Zeit lenken wird müssen, die es je gekannt hat."