Anders als der Klingelton des Handys, den der Benutzer selbst hört, sind die sogenannten "Farbklänge" die Musik oder ein anderes Geräusch, dem man lauscht, wenn man wartet, bis der Angerufene abnimmt. Während mehrere Klingeltöne zur Auswahl gewöhnlich schon im Handy eingespeichert und kostenlos sind, muss man für die "Farbklänge" bezahlen. Dafür sind sie natürlich kreativer und vielfältiger.
Wie das Internet China verändert
137 Millionen Chinesen nutzen das Internet, 440 Millionen telefonieren mobil - und täglich werden es mehr. Für viele von ihnen ist die elektronische Welt ein zweites Zuhause, das ihnen manchmal mehr bedeutet als die wirkliche Welt. Die chinesische Journalistin Ellen Deng, 30, Mitarbeiterin des Pekinger stern-Büros und selbst meist online, erzählt in einer vierteiligen Serie auf stern.de, wie das Internet das Leben der Chinesen verändert.
Die Ursprungsidee kam 2002 einem südkoreanischen Erfinder. Er wollte den Anrufer einfach etwas entspannen, vielleicht eine Sekunde, vielleicht dreißig Sekunden. 2003 führte der Mobilnetzanbieter China Mobile diese Technik in der Volksrepublik China ein, um den Gebrauchswert des Handys zu verbessern - und die eigenen Profite zu erhöhen. Bald wurden die langweiligen Töne wie "klingeling" oder "tut" ersetzt durch Popmusik oder Witze. Die anderen Service-Provider folgten - und zusammen nehmen sie heute mit den "Farbklängen" umgerechnet 10 Millionen Euro im Monat ein. 200 Millionen Chinesen telefonieren mobil, davon nutzen 40 Millionen die "Farbklänge", und jeden Tag werden es mehr. "Man hört den Signalton, schafft dabei Gold - das ist kein Traum", schrieb die chinesische Wochenzeitschrift Lifeweek.
"'Farbklänge' - witzig bis zum Tod"
"Junge Chinesen sind verrückt nach 'Farbklängen', noch mehr als die Südkoreaner", sagt Radiomoderator Zhao Xiaodong. "Sie wollen alles Neue, möchten zeigen, dass sie einmalig sind und sich von anderen unterscheiden." Die Sendung des 37-Jährigen beschäftigt sich nur mit 'Farbtönen', sie heißt "'Farbklänge' - witzig bis zum Tod". Es ist derzeit die meistgehörte Radiosendung in Peking, was der Moderator selbst für ein Wunder hält. Er führt die Welle auch auf den Druck zurück, unter dem junge Chinesen stehen, "Sie müssen ihre schlechte Laune loswerden, da helfen 20 lustige Sekunden am Telefon eine Menge".
Li Bin, ein Pekinger Taxifahrer und Fan der Radiosendung, stimmt dem zu: "Als ich beim Fahren zufällig auf dieses Programm stieß, fand ich es so lustig, dass ich am Straßenrand parkte und mich darauf konzentrierte. Ein witziger Handy-'Farbklang' kann mich einen ganzen Tag lang glücklich machen."
Aber was hat der Handy-Besitzer selbst davon, der das Geld bezahlt, doch die Ansage nie hört? Lulu, eine 17-jährige Basketballspielerin, sieht es so: "Den Klingelton höre ich nur selbst, aber der 'Farbklang' kann hundert Leute bewegen, die mich anrufen. Ich kann die Gefühle von vielen berühren - wie wunderbar!"
Jahrmarkt der Eitelkeiten um die "Farbklänge"
Während chinesische Handy-Nutzer in den 'Farbklängen' eine "spirituelle Klimaanlage" sehen, haben diese in der Musik eine ganz neue Richtung befördert und Unbekannte zu Stars gemacht. Ye Qian, 35, ist ein bekannter Komponist und Dichter von "Farbklängen", gehört zum Musikteam Wowcool. "Ein guter 'Farbklang' sollte so schnell und direkt wie möglich Aufmerksamkeit erregen", sagt er zu den besonderen Anforderungen. Denn meist hört man die Musik ja nur ein paar Sekunden und wartet nicht auf das Ende des Lieds wie bei einer Pop-CD oder einem klassischen Konzert. So müssen die Entwickler der 'Farbklänge' "kreativ und humorvoll sein, gut vertraut mit den letzten News und Ereignissen", sagt Ye. "Je mehr du weißt über Literatur, Mode, Trends und Gesellschaftsklatsch, desto besser kannst du den Job machen. Die meisten unserer 'Farbklänge' sind uns eingefallen, als wir plauderten und Wein tranken, das ist keine sorgfältige schmerzvolle Anstrengung."
Anfangs arbeiteten Ye Qian und seine beiden Partner, Xiao Bao und Xiao Si, nur hinter den Kulissen. Doch als immer mehr Töne online bestellt wurden, begannen sie in Radiosendungen und TV-Shows aufzutreten. Anfang dieses Jahres spielten sie in Peking sogar in einem Musical, das eigens über das Thema "Farbklänge" geschrieben wurde.
Noch überraschender war die plötzliche Berühmtheit für die 25-jährige Hu Yanglin. Noch vor zwei Jahren arbeitete sie als Projektplanerin in einer kleinen IT- und Musikfirma, kontaktierte Stars und bereitete PR-Events vor. Aber als sie eines Tages in ihrer Firma die Chance bekam, einen Song namens "Parfumgift" zu singen und aufzunehmen, wurde sie selbst ein Star. Er kam auf eine chinesische Website, und da er melodisch und einprägsam war, wurde er bald Nummer eins der Net-Song-Hitparade und gleichzeitig der 'Farbklang'-Hitparade in China. Im letzten Dezember gab die Firma eine Freiluftparty für Hu und feierte den acht-Millionen-fachen Download ihres Songs per Mobiltelefon. "Ich denke, den Zuhörern gefällt meine Stimme, aber sie mögen auch die Atmosphäre, die das Lied schafft", sagt Hu, die inzwischen als Sängerin unter Vertrag steht. "Es ist Glück und eine Fügung des Schicksals, wenn Fremde meinen Song als ihren 'Farbklang' wählen."
Sollen "Farbklänge" erziehen?
Angesichts dieser neuen Tendenzen sorgen sich einige Kritiker um die Zukunft der "echten Musik". Die Musikfirmen würden zu viel Mitarbeiter und Geld in die "Farbklang"-Produktion stecken, da die "Farbklänge" zehnfach profitabler sind als ihre Alben. Dadi, ein anonymer Kritiker, schreibt im Netz: "Kurz, grob, ohne Sinn für die Einheit eines Stücks, sind die 'Farbklänge' das Fast Food der Musik."
Einige Eltern und Erzieher empören sich über Hu Yanglins berühmt gewordenen Song "Parfumgift", in dem es um die Verzweiflung und die Toleranz einer Frau geht, die das Parfum einer anderen am Körper ihres Liebhabers riecht. Besonders stößt ihnen der Satz auf: "Ich sollte nicht die Schönheit einer anderen Frau riechen, aber ich wische sie ab und schlafe mit dir..." Manche Eltern fühlen sich durch "mit dir schlafen" an Prostituierte erinnert und sprechen von "dekadentem" Inhalt, der "ungesund für Kinder" sei. Der Popularität des Songs hat das nicht geschadet. Rufen Sie doch mal eine Chinesin an, dann hören Sie es!