Die Rede Schröder erreicht die Köpfe, aber nicht die Herzen

Die Rede des Bundeskanzlers überzeugte Rhetorikfachleute nicht. "Ein schwacher Vorsitzender" habe sich "auf der verzweifelten Suche nach Zustimmung" befunden.

Unvoreingenommene, mit der deutschen Sozialdemokratie nicht vertraute Beobachter des SPD-Parteitages mögen sich verwundert die Augen gerieben haben: Da tritt ein Parteivorsitzender und Regierungschef auf, hält eine für seine Möglichkeiten gute Rede, verteidigt auf dem Scheitelpunkt einer parteihistorischen Zäsur kämpferisch seine Sache und erntet zwar langen, aber meist nur mechanischen Beifall. Gerhard Schröder sah seine Erfahrung einmal mehr bestätigt, dass er von der Partei respektiert, nicht aber geliebt wird.

Rhetorikexperten wissen das seit langem und bestätigten dies auch nach der Berliner Rede des Kanzlers: "Den von Schröder so genannten Kampf um die Köpfe und Herzen kann er mit dieser Rede nicht gewonnen haben, seine Glaubwürdigkeit in der Partei ist nicht gewachsen", urteilte der Seminarleiter des Bonner Instituts für Rhetorik und Kommunikation, Günter Zienterra, unmittelbar nach dem Auftritt des Parteichefs.

Ein einziger Hilferuf

Und auch sonst ließ der Profi kein gutes Haar an der Rede. "Ein schwacher Vorsitzender" habe sich "auf der verzweifelten Suche nach Zustimmung" befunden. Ein Hilferuf sei die Rede gewesen, "aber leider auch nur ein lautes Selbstgespräch" ohne Abwägung und ohne Auseinandersetzung mit den Positionen der Reformgegner. Hielten andere Beobachter Schröder immerhin geschickte Argumentationsketten zu Gute, etwa als er die internationale Reformverantwortung der SPD ins Spiel brachte und damit die Eitelkeit der Delegierten kitzelte, bescheinigte Zienterra dem Kanzler "Unsicherheit angesichts der eigenen Partei".

Der Funke springt nicht über

Der Funke sprang freilich auch dann nicht über, als Schröder sich demonstrativ zu den 140 Jahre alten Parteigrundwerten Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität bekannte. Und als geradezu kontraproduktiv für einen, der überzeugen will, empfand der Rhetorikfachmann die Tatsache, dass sich Schröder bei den Delegierten für die Aufmerksamkeit bedankte. "Ein Kardinalfehler nach einer Rede", meinte Zienterra: "Das hat nur der nötig, der das Gefühl hat, das Zuhören war eine Zumutung."

Applaus für Eppler und Vogel

Dass sozialdemokratische Parteitage ein geradezu neurotisches Bedürfnis nach Nestwärme und solidarischen Deja-vue-Erlebnissen haben, ist Schröder bekannt. Doch war der Parteichef am Sonntag in Berlin unter der Last der schweren Entscheidungen offenbar noch weniger als sonst in der Lage, die richtigen Register zu ziehen.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick

Abonnieren Sie unseren kostenlosen Hauptstadt-Newsletter – und lesen Sie die wichtigsten Infos der Woche, von unseren Berliner Politik-Expertinnen und -Experten für Sie ausgewählt!

Wie anders reagierten doch die Delegierten auf die noch verbliebenen großen alten Männer der SPD. Obgleich der ehemalige Linksaußen Erhard Eppler, mit 76 Jahren immer noch von großer Formulierungskraft, und Hans-Jochen Vogel, der die Partei nach Willy Brandt führte, in der Sache Schröder vorbehaltlos unterstützen, flogen ihnen die Herzen zu. Sie fanden, die Zumutungen nicht verschweigend, auf wundersame Weise die richtigen Worte. Doch sie stehen auch nicht mehr in der Verantwortung. Anselm Bengeser