Ministerpräsidentenkonferenz Ein Kanzler als Ost-Versteher

Friedrich Merz auf Schloss Ettersburg
Ein Kanzler im Osten: Friedrich Merz auf Schloss Ettersburg nahe Weimar
© Ronny Hartmann / AFP
Auf der Konferenz der Ost-Ministerpräsidenten verspricht Friedrich Merz mehr Engagement für die sogenannten neuen Länder. Dahinter steht auch strategische Einsicht.

Da steht der Bundeskanzler im Stuck des Schlosses Ettersburg und schaut betont zuversichtlich in die Kameras. Er hat sich eigens etwas für diesen Tag überlegt.

"Ich will Sie auf ein kleines Gedankenexperiment mitnehmen", sagt Friedrich Merz. Wenn man den Osten Deutschlands anschaue und mit Frankreich vergleiche und "jeweils die Hauptstädte herausnehme", also Berlin und Paris: "Dann ist das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen im Osten Deutschlands höher als in Frankreich."

Die Lehre des Experiments ist natürlich die Erkenntnis, "dass wir", wie es Merz formuliert, "schon viel erreicht haben". Aber ebenso natürlich weiß der Kanzler, wo er gerade ist, nämlich auf der Konferenz der Ost-Ministerpräsidenten. Deshalb fügt er sofort hinzu: "Gleichwohl wissen wir, dass noch viel zu tun ist."

Kurzausflug nach Thüringen

Eigentlich müsste der Kanzler an diesem Donnerstag ausschließlich im Bundestag sein. Schließlich soll dieses Mal die Wahl der neuen Bundesverfassungsrichter klappen – und dabei wird auch die Stimme des CDU-Abgeordneten Merz gebraucht. Doch zwischendurch fliegt er mit dem Hubschrauber rasch nach Thüringen, zu den grünen Hügeln nahe Weimar, wo die östlichen Regierungschefs auf Schloss Ettersburg tagen.

Diesmal musste es einfach sein. Bald fünf Monate amtiert Merz schon als Bundeskanzler. Er kam viel herum in dieser Zeit, in Deutschland, vor allem in der Welt. Doch im Osten der Bundesrepublik wurde er – die Hauptstadt selbstverständlich ausgenommen – nur während eines kurzen Ausflugs zur Marine bei Rostock gesichtet. 

Nun, am Donnerstagmittag, ist er endlich da. Es regnet. Und regnet. Und regnet. Im Südosten hat sich ein hartnäckiges Tief festgesetzt.

Trübe Stimmung im Regen

Auch sonst wirkt die Stimmung in Weimar eingetrübt, trotz kollektiven Lächelns für die Kameras. Seit einem guten Jahrzehnt schon befinden sich die Ministerpräsidenten in einem politischen Abnutzungskampf gegen die AfD. In Sachsen führt inzwischen Michael Kretschmer nur noch eine CDU-SPD-Minderheitsregierung; in Thüringen steht Mario Voigt einer CDU-BSW-SPD-Koalition vor, und hat trotzdem keine Mehrheit. Ähnliche Konstellationen dräuen in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern, wo in einem knappen Jahr die Landtage neu gewählt werden.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Oder die AfD übernimmt sogar die Macht. Am Morgen tut die Schweriner Ministerpräsidentin Manuela Schwesig ihren Amtskollegen die neuesten Umfragewerte aus ihrem Land kund. 38 Prozent für die AfD, 19 Prozent für ihre SPD: Die Zahlen sind damit noch bitterer als in Sachsen-Anhalt, wo die AfD zuletzt bei 39 Prozent gemessen wurde, die regierende CDU aber immerhin noch bei 27 Prozent liegt.

Dies hat, wenigstens in Teilen, auch etwas mit den Dingen zu tun, die auf Schloss Ettersburg verhandelt werden. Denn selbst wenn sich die Wiedervereinigung nächste Woche zum 35. Mal jährt, so klingen doch einige Tagesordnungspunkte der 54. Ost-Ministerpräsidentenkonferenz so ähnlich wie jene der ersten. Noch immer wird um den historischen Nachteilsausgleich gerungen. Und noch immer geht es dabei vor allem ums Geld, ob nun für die Kommunen, die Infrastruktur oder die Forschung.

Wortgefechte im "Gewehrsaal"

Neu ist allerdings das Thema Aufrüstung. Am Vormittag, der Kanzler ist noch nicht gelandet, sitzen die Regierungschefs mit SPD-Verteidigungsminister Boris Pistorius zusammen. Kretschmer und Voigt haben einen Beschlusstext mit einem langen Forderungskatalog vorbereitet. Zentral darin ist die Forderung, dass auch der Osten von den vielen Verteidigungsmilliarden etwas abbekommt, schließlich sitzen die großen Rüstungskonzerne alle im Westen und unterhalten im Osten nicht einmal eine verlängerte Werkbank.

Die Runde tagt im "Gewehrsaal" im Anbau des Schlosses. Insbesondere Kretschmer drängt mit deutlichen Worten darauf, dass ein verbindlicher Teil der Rüstungsaufträge in den Osten geht. Der Vorgang besitzt eine gewisse Ironie bei einem Politiker, der ständig mehr Diplomatie mit Russland einfordert und dazu öffentlich erklärte, wie "unerträglich" er den von Pistorius eingeführten Begriff der "Kriegstüchtigkeit" finde.

Die Debatte wird hart geführt. Voigt und andere Ministerpräsidenten assistieren Kretschmer. Doch Pistorius will nichts versprechen. Eine derartige Klausel gehe allein schon vergaberechtlich nicht, teilt er mit. Bei seiner Abreise sagt er in die Mikrofone, dass die Aufträge natürlich "in alle Regionen Deutschlands" gehen sollten. Aber das werde eine Weile brauchen. "Bis dahin müssen wir vor allem die Geschwindigkeit bei der Produktion in den Vordergrund stellen" – und diese Geschwindigkeit, das sagt er freilich nicht dazu, dürfte eher nicht im Osten zu generieren sein.

Worauf sich der Verteidigungsminister einlässt, ist eine Investitionskonferenz für Ostdeutschland, an der sich neben den einschlägigen Rüstungskonzernen auch CDU-Wirtschaftsministerin Katherina Reiche beteiligen soll. Dort, sagt Pistorius, gelte es dann "auszuloten", unter welchen Bedingungen Aufträge ausgelöst werden könnten.

Ähnlich unverbindlich gibt sich später Merz. Zwar, sagt er, müssten "Industriekapazitäten, die wir im militärisch-technologischen Bereich zusätzlich brauchen, auch in Ostdeutschland entstehen können". Aber: "Da kann der Bund nur begrenzt Einfluss nehmen."

Doch im Unterschied zu Pistorius präsentiert sich der Kanzler ausgesprochen konziliant. Auch wenn das Treffen wegen der Berliner Richterwahl auf ein zweistündiges Arbeitsessen im Schloss einschrumpft, wird bei Kalbsbäckchen und Soufflé alles abgehakt, was die Länderchefs beschäftigt: Investitionen, Energiepreise, Verkehrswege. 

Goethe, Schiller, Friedrich Merz 

"Wir wollen das jetzt gemeinsam auf den Weg bringen", verspricht danach Merz. "Wir werden auch aus dem Sondervermögen für Investitionen und Klimaschutzprojekte natürlich auch im Osten unterstützen und mitfinanzieren."

Inwieweit der Kanzler das durchsetzt, muss sich noch zeigen. Authentischer erscheint seine Sympathie für den Ort des Treffens. Ebenso wie die Stadt Weimar repräsentiert das hübsch restaurierte Schloss Ettersburg die janusköpfige Geschichte Deutschlands. Einst führten hier Goethe, Schiller und Herder ihre Tischgespräche. Etwa 100 Jahre später errichteten die Nazis nur wenige Kilometer entfernt, auf dem Ettersberg, das Konzentrationslager Buchenwald.

Schloss Ettersburg bei Weimar
Schloss Ettersburg bei Weimar
© imageBROKER/Ulf Nammert / Imago Images

Er werde, sagt Merz in interner Runde, demnächst privat mit seiner Frau noch einmal vorbeikommen. Öffentlich erklärt er, dass er fortan mit den ostdeutschen Regierungschefs "etwas enger zusammenarbeiten" wolle. Er werde es nicht bei einer "einmaligen Begegnung" zur jährlichen Ministerpräsidentenkonferenz belassen.

Wird der Sauerländer Friedrich Merz auf seine alten Tage zum Ost-Versteher? Zweifel sind geboten. Dennoch dürfte auch Merz klar sein, dass er seine Amtszeit nicht unfallfrei überstehen wird, wenn Ostdeutschland weiter gen Rechtsaußen driftet. 

"Wir alle wissen, dass wir in ganz Deutschland, aber insbesondere im Osten, Abstiegsängste sehen", sagt er. Es gehe darum, dass Zuversicht zurückkehre und die Menschen wieder stärker auf die politische Führung vertrauten: "Die können das, die machen das richtig, und es geht mit diesem Land voran, Schritt für Schritt."

Dies gesagt, ist der Ausflug in den Osten auch schon fast wieder vorbei. Der Hubschrauber hebt ab in Richtung Berlin, zur Richterwahl, den nächsten Schritt machen.