Gesundheitsreform Zwang zur Vorsorge

Künftig drohen Patienten finanzielle Einbußen, wenn sie Vorsorge- Untersuchungen auslassen und später Krebs oder andere schwere Krankheiten bekommen. Für diese Pläne hagelt es harsche Kritik. Die Regierung schießt mit ebenso harten Worten zurück.

Gesundheitsministerin Ulla Schmidt erwartet von der anstehenden Reform ein Ende der Zwei-Klassen-Medizin in Deutschland. Noch immer gebe es unterschiedliche Wartezimmer für Kassen- und Privatpatienten, erklärte die SPD-Ministerin der Nachrichtenagentur AP. "Damit soll nun endlich Schluss sein." Allerdings steckte sie auch am Wochenende für die Reform teils heftige Kritik ein. Dabei ging es um den Plan, Patienten künftig stärker zur Kasse zu bitten, falls sie nicht zur Vorsorge gehen. Damit könnten auf künftige Krebspatienten oder chronisch Kranke höhere Zuzahlungen zukommen. Denn von der Sonderregelung, dass chronisch Kranke nur ein und nicht zwei Prozent ihres Einkommens für Zuzahlungen beim Arzt oder in der Apotheke aufbringen müssen, sollen nur die profitieren, die künftig alle Stempel in einem "Vorsorgeheft" vorweisen können.

Dies gilt dem Gesetz zufolge aber nicht rückwirkend und auch nicht für Menschen, die jetzt schon krank sind. Wer nach In-Kraft-Treten des Gesetzes zum 1. April 2007 alle empfohlenen Vorsorgeuntersuchungen mitmacht, ist nicht betroffen, falls er später einmal krank wird. Empfohlen ist für alle über 35 Jahre alle zwei Jahre ein "Checkup". Darüber hinaus sollen Frauen ab 20 regelmäßig zur Krebsvorsorge gehen, Männer ab 45 Jahre.

"Geld kann erzieherisch wirken"

Ärztepräsident Jörg-Dietrich Hoppe lobte die Anreize zur Vorsorge, obwohl er ansonsten die Gesundheitsreform ablehnt: "Die Deutschen kümmern sich nicht genug um Vorsorge und Verhütung von Krankheiten." Daher sei es gut, dass Patienten ein Vorsorgeheft bekommen sollten. "Geld kann erzieherisch wirken", sagte Hoppe der "Rheinischen Post".

Doch meldeten sich auch Kritiker zu Wort. "Krankheitsverhütung ist gut und wichtig, aber wenn man das Verschuldensprinzip in die Krankenkasse einführt, kommt man in Teufels Küche", warnte Grünen-Gesundheitsexpertin Biggi Bender. Der Chef der Deutschen Angestellten-Krankenkasse, Herbert Rebscher, sprach in der "Bild am Sonntag" von einem "unglaublichen Vorgang". Die Regelung sei grotesk und zynisch. Krebs sei ein Schicksalsschlag. Die Betroffenen bräuchten Unterstützung "und keine finanziellen Sanktionen." Auch Krebsmediziner Gerhard Ehninger äußerte in der "BamS" Kritik.

Das Gesundheitsministerium reagierte ungehalten. "Die Äußerungen von Herrn Rebscher sind dumm und bösartig", sagte Sprecher Klaus Vater der AP. Die Pläne entsprechen langjährigen Forderungen von Ärzten und Krankenkassen.

Sachsen-Anhalts Gesundheitsministerin Gerlinde Kuppe (SPD) sagte der "Mitteldeutschen Zeitung": "Das ist der richtige Weg, den Stellenwert der Vorsorge und die Eigenverantwortung jedes einzelnen zu erhöhen." Zudem sei der Gedanke sei nicht neu, sondern werde beispielsweise in der Zahnmedizin mit dem Bonusheft seit Jahren praktiziert.

Der Vorsitzende des Marburger Bundes, Frank Ulrich Montgomery, argumentierte dagegen: "Es gibt für bestimmte Krebsarten gar keine Vorsorgeuntersuchungen." Es sei zwar richtig, "dass man Beitragsnachlässe denen gewährt, die regelmäßig zu Vorsorgeuntersuchungen gehen", sagte er dem "Hamburger Abendblatt". Doch der Gesetzentwurf sei wie die ganze Reform falsch gestrickt: "Ein guter Gedanke schlecht ausgeführt."

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Schmidt bedauert Boykott

Schmidt bedauerte den angekündigten Boykott der Krankenkassen und anderer Verbände gegen eine Fachanhörung zum Gesetz am Montag. Denn mit der Reform werde erreicht, was sich die Kassen lange gewünscht hätten. Frühere Kassenvorstände hätten sich stets dafür eingesetzt, "dass es in den Wartezimmern keine Patienten erster, zweiter oder dritter Klasse" gebe. "Nach der Gesundheitsreform kann es endlich Gleichbehandlung der Versicherten im Warte- und im Arztzimmer geben", betonte Schmidt. Dies werde über die Angleichung der Ärztehonorare erreicht, die künftig für vergleichbare Leistungen an Kassen- und Privatpatienten auch eine vergleichbare Vergütung bekommen sollten. "Für den Arzt, die Ärztin soll es damit egal sein, bei welcher Kasse der Patient versichert ist", betonte Schmidt. Zudem sollten künftig auch Kassen- und nicht nur Privatpatienten Zugang zu "den besten Ärzten des Landes an den Krankenhäusern" haben.

AP
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