HINTERGRUND Mehr Rechte für Tiere

Folgt man den Worten von Mahatma Ghandi, dann ist Deutschland am Freitag ein Stück besser geworden. Der indische Unabhängigkeitskämpfer und Nobelpreisträger sagte einst: »Eine Zivilisation kann man danach beurteilen, wie sie ihre Tiere behandelt.« In seltener Einmütigkeit beschloss der Bundestag nun nach jahrelangem Streit die Aufnahme des Tierschutzes als Staatsziel ins Grundgesetz. Die Zustimmung des Bundesrates gilt als sicher, die Änderung soll noch im Sommer unter Dach und Fach sein.

Vorerst alles beim Alten für die Kuh im Stall

Für den Mastbullen im Stall, das Huhn im Käfig oder auch den Pudel im Haushalt bleibt trotz des Beschlusses erst einmal alles beim Alten. Auf derzeit geltendes Recht hat die Grundgesetzänderung nach Darstellung des Bundesagrarministeriums keine Auswirkungen. Der Gesetzgeber wird nun aber Würde und Schutz der Tiere stärker ins Visier nehmen. Bei künftigen Regelungen wird sich das Staatsziel Tierschutz sicherlich auswirken. Und vor allem: Der Tierschutz bekommt Verfassungsrang und damit einen völlig neuen Stellenwert. Die Justiz wird künftig anders abwägen müssen.

Der Schutz der Tiere ist bislang im Tierschutzgesetz geregelt. Die darin enthaltenen Regelungen treten aber spätestens dann in den Hintergrund, wenn dem Tierschutz ein in der Verfassung garantiertes Grundrecht entgegengehalten wird: Etwa die Freiheit der Wissenschaft, der Kunst, des Berufs oder der Religion. Ihnen gegenüber gilt der Tierschutz bisher als nachrangig.

Quälen im Namen von Forschung und Kunst

So konnten Tierschützer nicht verhindern, dass im Dienste der Forschung qualvolle Versuche gemacht wurden: Wissenschaftler nähten neugeborenen Affenbabys die Augenlider zu und öffneten sie erst ein Jahr später, dann wurden den Tieren Drahtspulen in die Augen eingesetzt und Elektroden in den Schädel gepflanzt. Der Tierschutz wurde ausgehebelt durch das höhere Gut, die grundgesetzlich vorbehaltlos garantierte Freiheit der Forschung.

Alles Entsetzen von Tierschützern änderte auch nichts daran, dass im Namen der künstlerischen Freiheit im vergangenen Sommer in Berlin eine Kuh geschlachtet, ihr Bauch mit Feuerwerkskörpern gefüllt und der Kadaver explodierend aus einem Hubschrauber geworfen wurde. Prominentestes Beispiel im Bereich der Religions- beziehungsweise Berufsfreiheit aus jüngster Zeit ist das Urteil des Verfassungsgerichts zum Schächten - unter Protest von Tierschützern ermöglichten die Karlsruher Richter Moslems unter strengen Auflagen das rituelle Schlachten, bei dem die Tiere ohne Betäubung ausbluten.

Der Präsident des Deutschen Tierschutzbundes, Wolfgang Apel, erhofft sich nach der Grundgesetzänderung weit reichende Änderungen. Seiner Ansicht nach stellt auch die Massentierhaltung einen klaren Verstoß gegen ein Staatsziel Tierschutz dar - wobei diese Position freilich vom größten Teil der Landwirtschaft nicht geteilt werden dürfte. Apel baut außerdem darauf, dass die Justiz Tierquälerei nicht mehr als Bagatelldelikt abtut: wie bei dem Mann, der zunächst versuchte, seinen Schäferhund zu erhängen, und ihn dann erschlug; er wurde mit weniger als 200 Euro Strafe zur Kasse gebeten.

Der Kampf bleibt hart

Um einen Halbsatz wird das Grundgesetz nun nach dem Bundestagsbeschluss erweitert: Der Staat schützt dann nach Artikel 20a die natürlichen Lebensgrundlagen »und die Tiere«. Apel hofft, dass diese drei Wörter mehr als nur eine verbale Luftblase bleiben. »Uns steht noch ein harter Kampf bevor«, sagt er. »Aber jetzt sind nicht nur die Argumente, sondern auch die Paragrafen noch deutlicher als vorher auf der Seite des Tierschutzes.«