Köhlers Agenda 2020 Der Preis des Präsidenten

  • von Hans Peter Schütz
Mit seiner jüngsten Forderung nach weiteren Reformen hat Horst Köhler der Republik den Preis seiner Wiederwahl genannt. Zugleich liegt hier die Chance des Bundespräsidenten in seiner zweiten Amtszeit jenes Signal zu setzen, das er bisher vermissen ließ.

Es fällt schwer, an einen Zufall zu glauben. Seit einiger Zeit steht fest, dass Bundespräsident Horst Köhler eine zweite Amtszeit zur Verfügung steht, so er nur will. Die FDP hat sich hellauf begeistert gezeigt für eine Verlängerung. Die SPD murmelt halblaut, sie könne damit einverstanden sein, wobei der eklatante Mangel an einem aussichtsreichen SPD-Kandidaten ein gewichtiges Motiv sein dürfte. Die Union wiederum ist zu Teilen aufgeschlossen, wobei auffällt, dass vor allem Kanzlerin Angela Merkel einen Mangel an Begeisterung erkennen lässt. Vermutlich deshalb, weil sie Köhler als Markenzeichen einer Reform-Kanzlerin ins Amt manövriert hat. Davon sind allenfalls nur noch politische Spurenelemente bei ihr sichtbar. Köhler ist einerseits noch immer auf dem Reformtripp, andererseits ist kaum denkbar, dass die Union die Kraft besitzt, den Widereinzug dieses bei den Bürgern überaus beliebten Mannes ins Präsidialamt zu verhindern.

Es ehrt Köhler, dass er die Offerte einer sicheren Verlängerung seiner Amtszeit nicht kommentarlos entgegennimmt. Denn mit seiner jüngsten Forderung nach einer Agenda 2020 hat er der Republik den Preis seiner Wiederwahl genannt. Alle müssen jetzt wissen, dass der Mann sich weiter dem Reformprogramm verpflichtet fühlt, für das er sich von Angela Merkel hat anwerben lassen. Im Mittelpunkt der Politik hat aus seiner Sicht der Dinge der Abbau der Arbeitslosigkeit zu stehen. Zweitens soll massiv investiert werden in Bildung, Forschung und Innovation - eine Position, die von der Großen Koalition bisher wortreich vertreten, aber nur mangelhaft durch Taten unterlegt worden ist. Die SPD darf jubeln, denn ausdrücklich beruft sich der Präsident lobreich auf Gerhard Schröders Agenda 2010 als dem entscheidenden Reformmotor, mit dem die Große Koalition bisher gefahren ist. Denn mit "fordern und fördern" hat es Merkel bislang nicht so sehr gehabt.

Zu viele Zumwinkels

Wenn Köhler - etwa Ende Mai - seine Bereitschaft verkündet, im Mai 2009 erneut zu kandidieren, so hat er mit dieser Mahnung zu weiteren Reformen auch einen Mangel seiner bisherigen Amtszeit behoben. Er kann nicht übersehen haben, dass die deutsche Gesellschaft sich in einer überaus schmerzhaften und bedenklichen Entwicklungsphase befindet: Sie driftet auseinander, die bürgerliche Mitte bröckelt. Das untere Drittel wächst und muss mit stetig wachsenden wirtschaftlichen Problemen leben. Die Eliten oben genießen in immer größerem Wohlstand und nicht wenige ihrer Mitglieder bereichern sich selbst dann schamlos, wenn sie als Vorbilder oder in ihrem Job kläglich versagt haben. Es gibt viele Zumwinkels.

Hier liegt die Chance Köhlers in seiner zweiten Amtszeit jenes Signal zu setzen, das er bisher vermissen ließ. Zuweilen konnte man der Eindruck haben, dass er mehr an den Nöten Afrikas leidet denn an den Missständen der Bundesrepublik. Richard von Weizsäcker hielt seine berühmte Rede über die Schuld der Deutschen. Roman Herzog profilierte sich mit seiner "Ruck"-Rede. Horst Köhler sollte sich in vergleichbar unmissverständlicher Weise zu jenen Reformen bekennen, die der weiteren Spaltung der deutschen Gesellschaft Einhalt gebieten. Zu diesem Zweck darf und sollte er sich nicht davor fürchten, den Parteien insgesamt und der Kanzlerin im Besonderen auch mal schroff zu kommen. Ein bisschen "unbequem" dürfte in diesem Fall allerdings kaum reichen.