Er würde ja gern, aber: "Mützen sehen bei mir total blöd aus." Die Strickmütze, bestickt mit dem Schlachtruf der SPD-Linken, zieht sich Lars Klingbeil daher nicht über den Kopf. Das habe nichts mit dem Spruch darauf zu tun, versichert der Co-Parteichef: "Tax the Rich", besteuert die Reichen. Andererseits will Klingbeil auch nicht mit einem modischen Statement, das nach Umverteilung schreit, den Koalitionsfrieden gefährden.
Dabei könnte er die Mütze gut gebrauchen an diesem Dienstagabend in Berlin-Mitte, der linke Flügel der SPD-Bundestagsfraktion hat zum Sommerfest geladen. Es sind herbstliche zehn Grad. Und Klingbeil hat seine Jacke vergessen. Auch die politischen Witterungsverhältnisse nehmen gerade wenig Rücksicht auf ihn.
Die SPD rangiert bei 13 Umfrageprozenten, ist damit nicht einmal mehr halb so stark wie die AfD. Bei den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen, einst rotes Herzland, sind die Sozialdemokraten auf ein erneutes Rekordtief gefallen. Trotz des 500-Milliarden-Sondervermögens für die Infrastruktur. Trotz "Bau-Turbo". Trotz Absicherung des Rentenniveaus. Es läuft nicht für die Genossen.
Lars Klingbeil: "Das geht nicht, wenn wir als SPD durchhängen"
Die Partei wirkt ratlos, verzweifelt. Auch Klingbeil, der als Parteichef und SPD-Machtzentrum in der Regierung Orientierung geben muss, scheint konsterniert. "Wir müssen deutlich machen, dass wir Bock haben, dieses Land zu gestalten mit den Grundwerten, die wir haben", beschwört er seine Leute beim Sommerfest. "Das geht nicht, wenn wir als SPD durchhängen, wenn wir schlapp sind. Wenn wir auch nicht gerade vermitteln, dass wir Lust auf Politik haben."
Seine Worte sollen motivieren; einem Gefühl entgegenwirken, das viele Genossen umtreibt: Die Union bestimmt den Kurs, die SPD trottet hinterher. Es ist aber auch eine eindringliche Bitte, fast ein Hilferuf: Ein bisschen mehr Begeisterung, Genossen! Wenn schon nicht wir, wer dann? Doch gute Stimmung lässt sich nicht verordnen, sie muss aus Überzeugung erwachsen – ganz oben angefangen. Nur wer steht da eigentlich: der Parteichef, der Vizekanzler oder der Finanzminister Lars Klingbeil?
Auch viereinhalb Monate nach Start der schwarz-roten Koalition scheint Klingbeil in seiner Dreifachrolle noch nach dem richtigen Modus zu suchen. Für den SPD-Vorsitzenden Lars Klingbeil könnte das nun zur Zerreißprobe werden. Obwohl er sich auf eine tief verunsicherte Partei konzentrieren müsste, kann er seine Regierungsämter nicht vernachlässigen, ohne dabei die Abläufe in der Koalition zu gefährden. Das schafft Begehrlichkeiten, im Zweifel Enttäuschungen – irgendwer muss immer zurückstecken.
Am Dienstagmorgen im Bundestag war dann vor allem der Vizekanzler Klingbeil zu erleben – der die Bürgerinnen und Bürger bei der Einbringung des Haushalts für 2026 auf Zeiten einschwor, die "uns viel abverlangen" würden. Später am Abend trat dann der kämpferische SPD-Chef auf dem Sommerfest der Parteilinken auf – der Kürzungen am Sozialstaat an höhere Abgaben für Reiche und sehr gut Verdienende knüpfte. Am Mittwochnachmittag ist dann der Finanzminister Klingbeil zu sehen, der beim Jacques Delors Centre in Berlin zur europäischen Dimension der deutschen Finanz- und Investitionspolitik referiert.

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Klingbeil muss drei Rollen bespielen, einen ständigen Spagat zwischen Kabinettsdisziplin, Koalitionsfrieden und Parteiarbeit aushalten, am besten glaubwürdig. Dabei provoziert gerade die Gleichzeitigkeit der Aufgaben und Ämter die Flucht in das routinierte Abspulen von Positionen und Stanzen. Mancher in der Partei hielt die Versuchsanordnung von Anfang an für gewagt. Viel Zeit zur Profilschärfung und für programmatische Visionen, die neue Begeisterung in der SPD entfachen, bleibt bei dem Workload nicht. Das halten viele nach der historischen Niederlage bei der Bundestagswahl aber für nötig.

Ein kommunikativer Spagat
Zumal die Rolle als Finanzminister nicht unbedingt auf die des SPD-Vorsitzenden einzahlt. Es ist zwar ein mächtiges Ressort, aber auch ein sehr technisches, geprägt von kühlen Zahlen und komplizierten Sachverhalten, die schwer zu erklären sind. Klingbeil selbst räumt ein, dass es sich bei den 500 Milliarden Euro für die Infrastruktur im Land um eine "abstrakte Summe" handle, deren konkreter Nutzen stärker kommuniziert werden müsse.
Zusätzlich erschwert wird das Klingbeil'sche Rollenspiel dadurch, dass selbst die Rolle des Finanzministers in zwei Charaktere zerfällt: Einerseits will Klingbeil das Amt als "Investitionsminister" verstanden wissen, konterkariert wird das Bild aber vom Sparminister, den er mit Blick auf die 30-Milliarden-Lücke im Haushalt 2027 nun bald wird geben müssen.
Nun läuft der "Herbst der Reformen" an, der Sozialstaat soll einem grundlegenden Update unterzogen werden – sensible Einschnitte nicht ausgeschlossen. Hat Klingbeil die Kraft, seiner Partei auch schmerzhafte Kompromisse zu verkaufen? Seine Autorität als Parteivorsitzender hat schon gelitten, beim Bundesparteitag wurde er für seinen machtpolitischen Durchmarsch mit einem Wahlergebnis von 65 Prozent abgestraft.
Dass Klingbeil nun regelmäßig auf das SPD-Herzensthema abhebt, auch die reichsten der Reichen stärker in die Verantwortung zu nehmen, soll die eigenen Leute bei Laune halten. Und mögliche Einschnitte leichter verdaulich machen. Streichen, kürzen und sparen – keine Vokabeln, die rote Herzen höherschlagen lassen, vor allem nicht in einem Superwahljahr. 2026 wird in vier Bundesländern gewählt, in Mecklenburg-Vorpommern und Rheinland-Pfalz stellt die SPD sogar die Ministerpräsidenten. Aktuellen Umfragen zufolge droht ein Verlust der Staatskanzleien.
Auf Klingbeil dürfte noch politische Schwerstarbeit zukommen. Die "wichtigste Nachricht" an die SPD-Linken sei, scherzt er beim Sommerfest am Dienstagabend, dass man ihn weiter kritisieren dürfe. Eine Anspielung auf Bundeskanzler Friedrich Merz, der neulich in der Unionsfraktionssitzung gemahnt hatte, weniger Kritik an seinem Vize zu üben. "Ich bin da nicht sensibel", versichert Klingbeil.