Ökonomen Sparpläne der Koalition sind "Flickschusterei"

Die katastrophale Haushaltslage in Deutschland verpflichtet die Große Koalition zum Sparen. Viele Volkswirte halten die Vorschläge der großen Koalition zur Etatsanierung jedoch für "Flickschusterei".

Union und SPD fahnden nach mindestens 35 Milliarden Euro Einsparsumme und wollen den Etat radikal sanieren. Von vollmundigen Versprechen halten Ökonomen aber wenig. Volkswirtschaftlich gesehen sind die geplanten höheren Steuern und niedrigeren Staatsausgaben denkbar ungeeignet, um das Haushaltsloch langfristig zu stopfen und mehr Wirtschaftswachstum zu schaffen. Viele Volkswirte halten die Vorschläge der großen Koalition zur Etatsanierung für "Flickschusterei".

"Wenn sich die neue Regierung jetzt genau wie die Kohl- und Schröder-Regierung nur auf das Defizit konzentriert, dann stehen wir in vier Jahren wieder da, wo wir heute stehen", sagt der Bonner Ökonom Prof. Jürgen von Hagen voraus. Dann wären die Schulden am Ende höher als vorher. Als "Herumdoktern an den aktuellen Finanzproblemen" kritisiert Deka-Bank-Chefvolkswirt Ulrich Kater die Pläne. "Da ist keine Fantasie drin, da wird den Bürgern keine Perspektive gegeben, da fehlt eine langfristige Reformstrategie." Ohne Aufbruchstimmung könne sich der schwache Konsum aber nicht erholen.

"Zur erfolgreichen Sanierung braucht man Wachstum"

"Ich habe keine Hoffnung, dass sich in vier Jahren allzu viel ändert. Das Defizit wird groß bleiben und das Wachstum schwach", sagt der Europa-Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Thomas Mayer. Die Volkswirte glauben nicht daran, dass die große Koalition das Defizit auf absehbare Zeit unter die Drei-Prozent-Grenze des Euro-Stabilitätspaktes drücken kann.

Dabei klingt die Sache in der Theorie eigentlich ganz einfach. Wenn Staatsausgaben und Steuervorteile sinken, bremst das zwar kurzfristig die Konjunktur. Weil das Defizit aber gleichzeitig schmilzt, erwarten die Bürger für die Zukunft sinkende Steuern und geben bereits jetzt mehr Geld aus. Die Firmen investieren - getragen von dieser Hoffnung - mehr und schaffen neue Jobs. Das gleicht den konjunkturdämpfenden Effekt aus. Unter dem Strich schafft die Etatsanierung in der Theorie mehr Wachstum.

Nur in der Praxis klappt das nicht. "Die Theorie ist nicht belegt. Es gibt keine empirischen Beweise dafür", sagt Wirtschaftsprofessor von Hagen. Dänemark und Schweden hätten in den 90er Jahren zwar ihren Haushalt in Ordnung gebracht, aber in keinem europäischen Land habe ein Sanierungspaket von allein das Wachstum gestärkt - vor allem dann nicht, wenn es Steuererhöhungen enthielt. "Zur erfolgreichen Sanierung braucht man Wachstum." Und da sieht es in Deutschland schlecht aus: In diesem Jahr wird die Wirtschaft nach Ansicht der führenden Wirtschaftsinstitute nur mit 0,8 Prozent wachsen, 2006 mit 1,2 Prozent. Das sei zu einfach zu wenig.

Auf niedrige Zinsen kann Deutschland nicht zählen

Erfolgreich waren Regierungen im Euro-Raum vor allem dann, wenn die Währung vorher abwertete. Niedrige Zinsen unterstützten zusätzlich die wirtschaftliche Erholung. Doch darauf können die Deutschen nicht zählen. Die Europäische Zentralbank muss bei ihren Zinsentscheidungen die Entwicklung in allen 12 Ländern des Euro-Raumes berücksichtigen und steuert gerade auf eine Zinserhöhung zu. "Die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Haushalts-Sanierung existieren derzeit nicht", lautet das Fazit der Ökonomen.

Die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung hat berechnet, dass rund 200.000 Arbeitsplätze verloren gehen, wenn die Regierung die Mehrwertsteuer von 16 auf 18 Prozent erhöht und die Ausgaben kürzt. Die Nettolöhne der Beschäftigten würden um 0,5 Prozent sinken. Das Fazit der Stiftung lautet: "Eine Haushaltskonsolidierung sollte grundsätzlich nur in Phasen guten Wirtschaftswachstums erfolgen - dann aber auch konsequent."

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Marion Trimborn/DPA