Ökumenischer Kirchentag Zwischen Gott und Globalisierung

Es soll ein Fest der Superlative werden, ein Wendepunkt in der Geschichte von Deutschlands Christen: Rund 200 000 Protestanten und Katholiken wollen auf dem ersten Ökumenischen Kirchentag in Berlin ihren großen Wunsch nach Einheit bekunden.

Am Rucksack und den bunten Tüchern sollt ihr sie erkennen: Kirchentagsbesucher. Mit müden Augen kämpfen sie auf den Bahnhöfen mit den Stadtplänen auf der Suche nach ihren Nachtquartieren. Knapp 40 Sonderzüge mit rund 30 000 Gästen erreichen über den Tag die Hauptstadt an. Dazu kommen 1600 Busse mit 60 000 Insassen und Zehntausende, die privat anreisen. Die Millionen-Metropole Berlin - Love-Parade erprobt - nimmt den Ansturm gelassen. Die meist jungen Rucksack-Träger sind nur weitere bunte Punkte im Stadtbild.

"Faszinierende Vielfalt"

Fast zwölf Stunden war Klaus Kaisers von Konstanz aus unterwegs. Der 31-jährige Betriebswirt und Berlin-Kenner hat 20 Freunde von der Hochschulgemeinde im Schlepptau. Die Gruppe, die aus Katholiken und Protestanten besteht, ist wie geschaffen für den ersten ökumenischen Kirchentag. "Wir interessieren uns sehr für die Themen Ökumene, Abendmahl und Amtsverständnis", sagt Kaisers. Bei der Veranstaltung können die Kirchen seiner Meinung nach gemeinsam ihre "faszinierende Vielfalt" demonstrieren.

Mit dem Quartier hat die Gruppe ebenfalls Glück gehabt. "Wir sind in einer Schule in der Stadtmitte untergebracht", freut sich Kaisers. "Von hier lässt sich die Stadt erkunden." Die 17-jährigen Pfadfinderinnen Charlotte und Vera aus Wuppertal haben es dagegen weniger gut getroffen. Ihre Gruppe "Klippspringer" ist in Spandau untergebracht. Für Berlin-Touren haben sie kaum Zeit, denn sie sind für den Ordnungsdienst eingeteilt.

Die ebenfalls 17 Jahre alte Jenny aus Ravensburg ist mit ihrer Patentante unterwegs, die ihr die Programmauswahl überlässt. "Ich möchte auf das Power-of-Love-Konzert und viel von Berlin sehen", sagt sie freudestrahlend. Dann fahren beide mit ihren Klapp-Rollern weiter. Jochen Rotgeri aus Riedburg in Westfalen will sich einfach treiben lassen. Er ist mit seiner Frau und einem befreundeten Paar privat angereist. Die Kleingruppe ist gemischt-konfessionell und damit ökumenisch beschlagen. "Das Christentum steht im Zentrum, der Weg dorthin ist egal", erklärt der 50-Jährige sein Credo.

«Dienst am Kloster-Stand»

Der jungen Franziskaner-Schwester Esther aus Stuttgart sind die Strapazen der Nachtfahrt kaum anzumerken. "Bei uns waren einige besoffenen Fußballfans im Zug, die bis zum Morgen gegrölt haben", erzählt sie genervt. Für sie besteht der Kirchentag vor allem aus "Dienst am Kloster-Stand". In die Veranstaltung legt sie die Hoffnung, "dass nicht die Unterschiede zwischen den Konfessionen herausgestrichen werden, sondern der ökumenische Funke überspringt."

Die große Dimension des Kirchentags bereitet der Studentin Monika Neumann (25) Sorgen. Sie ist mit ihren Freundinnen mit dem Bus aus Lübeck angereist und interessiert sich vor allem für Frauenthemen. "Ich bin gespannt, ob wir bei den Vorträgen überhaupt noch einen Platz bekommen".

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Der Polizei bereitet der Besucheransturm dagegen kein Kopfzerbrechen. In Spitzenzeiten sind bis zu 550 Beamte im Einsatz - nur rund ein Fünftel der Love-Parade-Stärke: "Die Organisatoren haben das super im Griff", erklärt Sprecher Thomas Piotrowski die Zurückhaltung. Durch die vielen Veranstaltungsorte werde der Besucherstrom entzerrt, und bei der Klientel sei nicht mit vielen Straftaten zu rechnen.

Ökumene - das Miteinander der christlichen Kirchen

Der erste Ökumenische Kirchentag in Berlin ist der Höhepunkt der Bemühungen um Gemeinsamkeit der christlichen Kirchen in Deutschland in den vergangenen Jahren. Das Wort Ökumene bezeichnet das Miteinander der christlichen Kirchen. Ökumene kommt aus dem Griechischen und heißt: "Die ganze bewohnte Erde".

Im Ökumenischen Rat der Kirchen mit Sitz in Genf sind heute 342 Kirchen protestantischer, anglikanischer, orthodoxer und altkatholischer Konfession aus aller Welt verbunden. Die römisch-katholische Kirche ist in Deutschland in der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen vertreten. Lutherischer Weltbund und der Vatikan stellten 1999 in Augsburg in einer gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre fest, dass die unterschiedlichen Lehrauffassungen, die im 16. Jahrhundert zur Spaltung der Kirchen geführt hatte, heute nicht mehr trennen.

In Deutschland steht die Ökumene der evangelischen und katholischen Kirche im Vordergrund. Gemeindemitglieder kennen sich, treffen sich zu besonderen Anlässen, Pfarrerinnen und Pfarrer predigen in den Gottesdiensten der anderen Konfession, Brautleute verschiedener Konfession lassen sich evangelisch oder katholisch trauen, wobei ein Geistlicher der anderen Konfession im Gottesdienst mitwirkt.

"Versöhnte Verschiedenheit"

Unter der Vorstellung der "versöhnten Verschiedenheit" gehen viele unterschiedliche Kirchen miteinander um. Damit ist gemeint, dass die evangelischen und die katholischen Christen bei ihrem Glauben bleiben, aber vieles miteinander tun. Das Gemeindeleben, die Bildungs- und Sozialarbeit der Kirche geschieht häufig in ökumenischer Zusammenarbeit.

DPA
Ingo Senft-Werner