Hans-Martin Tillack IG Bundestag GmbH & Co

Der Bundestagspräsident hat sich über diesen Blog beschwert. Er fühlt sich unfair behandelt. Jetzt muss er es nur noch schaffen, sich mit den Fakten vertraut zu machen. Gestern kritisierte ich Parlamentspräsident Norbert Lammert (CDU), weil er sich standhaft weigert, ein mehr als ein Jahr altes Gesetz umzusetzen und die Nebeneinkünfte der Bundestagsabgeordneten publik zu machen.

Darauf meldete sich sein Sprecher Guido Heinen (den ich übrigens bereits vorher mit meiner Kritik konfrontiert hatte) und bemängelte, ich hätte Lammerts Standpunkt nicht hinreichend berücksichtigt. Die Aussetzung der Transparenzregeln sei "keineswegs eine so einsame Entscheidung des Bundestagspräsidenten" gewesen, wie ich behauptet hätte (hatte ich gar nicht behauptet, aber das Dementieren von nicht existierenden Behauptungen gilt unter Pressesprechern als clever).
Vielmehr, so der Sprecher des Präsidenten, sei die Nicht-Umsetzung des Gesetzes "unter Beteiligung aller Fraktionen" des Bundestages entschieden worden.

Nun, das ist zumindest leicht missverständlich. Tatsächlich hatten die Grünen (in Person ihres Parlamentarischen Geschäftsführers Volker Beck) bereits im März 2006 ausdrücklich erklärt, dass sie höchstens einer Aussetzung der Veröffentlichung bis zum Sommer 2006 zustimmen könnten. Bis dahin wären die Grünen bereit gewesen abzuwarten, wie das Bundesverfassungsgericht über eine Klage von neun Bundestagsabgeordneten gegen die Veröffentlichungspflicht entscheidet. Aber das Gericht entschied nicht. Folglich bestand Grünen-Geschäftsführer Beck in einem Schreiben vom 27.7.2006 und in der Ältestenratssitzung vom 21.9.2006 darauf (laut Protokoll), dass "geltendes Recht umgesetzt werden müsse".

Becks FDP-Kollege Jörg van Essen war zwar sauer (Becks Vorpreschen sei "inakzeptabel und geeignet, den innerparlamentarischen Umgang der Fraktionen miteinander zu belasten"). Aber der Grüne ließ sich nicht einschüchtern. Er verwies darauf, dass ja nicht einmal die "klagenden Kollegen" einstweiligen Rechtsschutz beantragt hätten. Und dass deshalb ihre Klage keine aufschiebende Wirkung habe. Was kürzlich übrigens auch eine Sprecherin des Bundesverfassungsgerichts bekräftigte.

Dass gerade der Präsident eines Gesetzgebungsorgans Gesetze besonders sorgfältig einhalten sollte, will Lammert trotzdem nicht in den Kopf. Er habe ja gute Gründe, sagt sein Sprecher.

Nur am Rande: Liebe Leser, Ihnen sei nicht empfohlen, Lammerts Beispiel zu folgen und der Polizei etwa mit folgenden Worten zu begegnen: "Herr Wachtmeister, ich hatte gute Gründe, mein Auto auf dem Gehweg zu parken!"

Was aber sind Lammerts Gründe? Sie drehen sich um das "Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung". Das gelte auch für Abgeordnete. Sehr gerne! Aber warum haben dann die klagenden Parlamentarier nicht selbst auf ihrem Grundrecht dergestalt bestanden, dass sie einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt haben?

Hat es vielleicht damit zu tun, dass das geltende Abgeordnetengesetz längst beschlossen war, als sich die Parlamentarier in den Bundestag wählen ließen? Sie wussten also, dass sie zwar weiterhin würden Nebeneinkünfte haben dürfen - freier als in allen anderen Funktionen des öffentlichen Dienstes. Freier als zum Beispiel ihre Kollegen in den USA. Dass sie aber diese Einkünfte zu veröffentlichen haben. Keiner war gezwungen, Abgeordneter zu werden. Und keiner ist verpflichtet, trotzdem Nebenjobs auf sich zu laden.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Wenn es Lammert aber um die Grundrechte geht: Wo war sein Protest gegen den Beschluss des Bundeskabinetts, die sechsmonatige Vorratsdatenspeicherung aller unserer Telekommunikationsdaten durchzupauken? Einer Speicherung, der übrigens niemand entkommt. Warum stellt sich Lammert nicht hinter die Forderung von Datenschützern, die Speicherung solange auszusetzen, bis der Europäische Gerichtshof über eine Klage der Republik Irland gegen das zugrunde liegende EU-Gesetz entschieden hat? Anders als im Fall der Bundestags-Nebeneinkünfte ginge das sogar auf ganz zweifelsfrei legalem Weg. Nämlich indem Deutschland selbst der irischen Klage beitritt. Damit könnte Berlin die "Unanwendbarkeit" der Vorratsspeicherung beantragen. Nur für den Fall, dass der Bundestagspräsident ein Faible für rechtsstaatliche Verfahren entwickelt.

Aber kann es sein, dass es Lammert gar nicht um irgendwelche Grundrechte geht, die dann ja für alle zu gelten hätten? Sondern um die eigenen Privilegien?

Der Bundestagspräsident muss noch ein paar Argumente nachlegen. Entweder er ist wirklich ein würdiger Repräsentant des Verfassungsorgans Bundestag. Oder aber er agiert wie der Vorsitzende der "Interessengemeinschaft Bundestag". Um nicht zu sagen: der IG Bundestag GmbH & Co.