Hans-Martin Tillack Wulff – ein Jahr danach

Heute vor einem Jahr berichteten wir das erste Mal über den merkwürdigen privaten Hauskredit des damaligen Präsidenten Christian Wulff.

Die „Bild“-Zeitung hatte uns mit der Enthüllung um ein paar Stunden geschlagen. Die Kollegen haben dafür später den Henri-Nannen-Preis bekommen – zu Recht. Unser Artikel, der am 13. Dezember 2011 auf stern.de veröffentlicht wurde, enthielt dennoch viele zusätzliche Informationen, etwa über die überaus günstigen Konditionen, zu denen die Gattin des Unternehmers Egon Geerkens dem Ehepaar Wulff das Darlehen gewährt hatte. Oder über die Reisen, auf die der Ministerpräsident Wulff Egon Geerkens mitgenommen hatte.

Er wurde viel zitiert, so wie etwa ein dutzend weitere Artikel, mit denen wir in den Wochen darauf nachlegten. Da ging es um Enthüllungen etwa über die Beziehungen zwischen Wulff und dem Versicherungsmanager Wolf-Dieter Baumgartl oder dem Pwc-Chef Norbert Winkeljohann. Und besonders ausführlich informierten wir über das Dreieck bestehend aus Wulff, seinem Sprecher Olaf Glaeseker und dem Eventmanager Manfred Schmidt („Schnulligate“).

Der Fall Wulff hat gezeigt, was Recherchen von Journalisten bewirken können.

Glaeseker verlor seinen Sprecherjob fünf Stunden, nachdem wir am 22. Dezember detaillierte Fragen zu seinen Gratisurlauben bei Schmidt an das Präsidialamt gerichtet hatten. Wulff trat knapp zwei Monate später zurück, ausgelöst durch Ermittlungen gegen ihn und den Filmproduzenten David Groenewold. Die Verfahren der Staatsanwaltschaft Hannover gegen Wulff und Glaeseker dauern an – Ausgang offen.

Noch wichtiger als deren Ergebnis bleibt die Frage, ob die Affären um Christian Wulff mehr Aufmerksamkeit für ein in Deutschland lange vernachlässigtes Thema gebracht haben: Die Korruptionsanfälligkeit der deutschen Politik. K wie Korruption - darüber redete man in Berlin lange nicht. Oder nur im Zusammenhang mit, sagen wir, Afghanistan.

Nach dem Rücktritt des Präsidenten sah es so aus, als ob sich das nun ändern könnte. Politiker und Wirtschaftsleute klagten, sie wüssten nicht mehr, was ihnen erlaubt sei und was nicht. Wie viel Nähe, wie viel Vergünstigung war noch zulässig, wo verlief die Grenze? „Immer schön korrekt bleiben. Ist das Gebot der Stunde“ – so simste man sich Anfang 2012 im Regierungsviertel.

Einige beherzigten das bereits vorher. Aber dass der Bundestag die Bestimmungen über Vorteilsannahme und –gewährung schon 1997 verschärft hatte, das war in Berlin lange nicht ins allgemeine Bewusstsein gedrungen. Oder man glaubte, die von der Politik erlassenen Gesetze seien nur für kleine Beamte gültig, nicht für Amtsträger vom Staatssekretär aufwärts. Und noch heute scheint selbst ein Peer Steinbrück zu glauben, es sei keinerlei Problem, dass er als Finanzminister mit großer Entourage von Manfred Schmidts Gastfreundschaft profitierte.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick

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Kurz schien es Anfang 2012 so, als ob das Politsponsoring in Verruf geriete. Die Deutsche Bahn kündigte den Ausstieg an. Doch auf den jüngsten Parteitagen von CSU, Grünen, CDU und SPD war der Staatsbetrieb zumindest als Aussteller wieder mit dabei – nachdem die Schatzmeister von CDU und SPD öffentlich auf Sponsoring durch die Bahn gedrungen hatten.

Nichts gelernt? Doch. Das böse K-Wort ist kein Tabuwort mehr in Berlin. Es sind nicht mehr nur einige Abgeordnete am linken Rand, die Abgeordnetenbestechung umfassend unter Strafe stellen wollen. Und neuerdings ermitteln sogar Berliner Staatsanwälte gegen Lobbyisten. Auch hier geht es um den Verdacht der Korruption.

Spötter betrachten das Berliner Regierungsviertel als „einen Quadratkilometer Irrsinn“. Alles nur Irrsinn also, aber mit Methode? Das ist falsch, hier herrscht nicht der Irrsinn. Aber die Methoden können sich bessern. Manchmal tun sie es.