Die Große Koalition ist am Ende, aber sie geht nicht zu Ende. Noch nicht. Das eine bedingt das andere. Denn nur ein Bündnis, das kühne Projekte zeugt, bietet nach klassischem Machtkalkül einem oder beiden Partnern die Chance, seine Zukunft in der Trennung, im Bund mit anderen zu suchen. Diese Große Koalition aber hat mit dem Ding, das eine epochale Gesundheitsreform zu nennen freche Anmaßung wäre, ihre Unfähigkeit zur Kühnheit bewiesen. Sie hat ihre Legitimation verspielt, Großes im Bund der Großen zu bewegen. Das aber schwächt beide so sehr, dass sie eher resignierend zusammengeworfen statt wagemutig auseinander getrieben werden. Es sei denn, die Schwäche würde so überwältigend, dass die Koalition an Auszehrung und wechselseitiger Aggression verendet. Der Traum von den Chancen der Großen Koalition ist ausgeträumt. Wir betreten (wieder) die Niederungen niederer Politik. Keine Erlösung für das unerlöste Land.
Vertrauen und Verrat sind Geschwister in der Politik. Natürlich wurde der Verrat, das planvoll herbeitaktierte Ende, gedacht, kaum war die Große Koalition verabredet, Vertrautheit gewachsen zwischen Merkel und Müntefering, Kauder und Struck. Um die 40 Prozent hatte die Union damals, in den ersten beiden Monaten des Jahres, und die SPD trudelte unter 30. Aber es war zu früh, es war noch nichts geschafft, kein einziges vorzeigbares Stück vereinbart, das der Machtpolitikerin im Kanzleramt die Herrschaft unter kommoderen Umständen, mit anderen Kumpanen hätte garantieren können. Aber: Die Frau, von der es heißt, sie denke alles vom Ende her, dachte auch schon an das Ende. Inzwischen ist die Union auf die SPD zugestürzt. So tief, dass der Gedanke an die Sollbruchstelle erstarrt ist.
Nun gibt es zwar Stücke, die vorgezeigt werden. Aber das wichtigste, das Gesundheitsstück, ist in Wahrheit kaum vorzeigbar. Jedenfalls nicht mit Verve, mit Überzeugungskraft, mit der Verlockung, es könne alles noch viel besser werden, wenn nur É Keine Verlockung, nirgends. Höhere Steuern, höhere Beiträge - 2007 gleich für Rente und Gesundheit -, das ist die Bilanz der Koalition meineidiger Lohnnebenkostendrücker. Fasst man es emotionslos, so erschöpft sie sich in einem einzigen gemeinsamen Anliegen: den Staat wieder flüssig zu machen, die Etats zu sanieren. Das ist was, aber das ist zu wenig. Mag sein, dass die Kanzlerin ihre eigene Bilanz zieht und dass darin ein ganz anderer Posten zählt: jene Brikettfabrik nämlich, die wir Gesundheitsfonds nennen. In ihr sollen aus zermahlener Beitrags-Kohle (und später auch Steuer-Kohle, irgendwie) handliche Einheitsstücke geformt und als Prämien-Briketts an die Krankenkassen ausgespuckt werden, damit die wetteifern, wer es seinen Kunden am wohligsten warm einzurichten vermag. Das ist, gewiss, ein hübscher Erfolg für die Taktikerin der Macht. Aber es ist ein gigantisches Sozialexperiment, bei dem Kohlenhändler und Kunden ahnen: Es wird teurer. Aber besser? "Wir werden", sagte die erschöpfte Kanzlerin nach der Marathonnacht der Koalition unfreiwillig erhellend, "Verschwendung und Undurchschaubarkeit in dem System durch eine Vielzahl von Strukturmaßnahmen verbessern." Freud regiert mit.
Die Debatte über die Gesundheitsreform ist jedenfalls nicht zu Ende, sie beginnt erst richtig und wird dem Land den Nerv rauben. Denn die Beschlüsse haben keinen Bestand für 10 oder 15 Jahre. Nun wird, über Jahre, gestritten werden, wie viele Steuern, welche und mit welchem Ziel in die Briketts gepresst werden. Damit schafft die Koalition nicht, was sie schaffen wollte: neue Sicherheit - sondern neue Unsicherheit. Politik wie gehabt. Unfertig. Kein Mut, keine Führung, keine neue Kultur.
In Wahrheit wollen Schwarz und Rot nicht miteinander regieren. Weder CDU noch SPD betrachten diese Regierung als die ihre
Im Gegenteil: So wenig Gemeinsamkeit hatte eine Koalition, wie sich nun offenbart, wohl noch nie. In Wahrheit wollen Schwarz und Rot nicht miteinander regieren. Weder CDU noch SPD betrachten diese Regierung als die ihre. Heute weniger denn je. Die maulenden Fraktionen werden nur mühsam, und zunehmend mit Drohungen ihrer lavierenden Anführer, auf Kurs gehalten. Die Große Koalition hat keinen gemeinsamen Willen, keine gemeinsame Idee und keine gemeinsame Sprache. Sie ist ein Jahrmarkt der Kuhhändel, der flauen Kompromisse und der gereizten Übellaunigkeiten.
"Je langsamer die Große Koalition ist", meinte vor Zeiten ein weitsichtig Resignierter aus ihrer Führung, "desto länger wird sie halten." Das ist die Logik der Politik. Aber nicht unsere. Wir sollten nicht resignieren. Wir müssen nicht auf Kollaps im Krawall hoffen. Wir können der Koalition entziehen, was wir ihr gegeben hatten: Zeit und Hoffnung. Soll sie den Etat sanieren - und abtreten. Ende des Jahres, Anfang 2007 - dann sind die Batterien ohnehin leer. Dann kann nur eine Ampel folgen, Schwarz oder Rot mit FDP und Grünen. Sollen eben drei aufeinander steigen, mit dem Ruf der Bremer Stadtmusikanten: Etwas Bess'res als die Große Koalition findst du allzumal.